Mission Clockwork: Angriff aus der Tiefe
Colette schließlich.
»Er hat sich in den Seilen mit den Gewichten verfangen und ist ertrunken.«
»Bonnes nouvelles«, sagte sie, in ihrer Stimme klang allerdings keine Freude an.
Modo empfand eine gewisse Traurigkeit. Das Leben als Unsichtbarer hatte Griff in den Wahnsinn getrieben. Was wäre aus ihm geworden, wenn er wie ein normaler Junge hätte leben dürfen?
Die Zeit verstrich. Modo und Colette waren trotz der Kälte eingeschlafen. Als die erste Dämmerung den Sonnenaufgang ankündigte, erwachte Colette und schlug die Augen auf.
»Irgendetwas Neues vom Ausguck?«, fragte sie.
Modo stemmte sich so weit hoch, dass er über den Rand der Glocke blicken konnte. »Kein rettendes Schiff in Sicht.«
»Monturiols Vorliebe, fremde Schiffe zu rammen, hat den Seeverkehr hier völlig zum Erliegen gebracht.«
Bei dem Gedanken an Monturiol und Cerdà wurde es Modo schwer ums Herz. »Wenigstens ist die Clockwork Guild verschwunden.«
»Ja, die erwischen uns nicht noch einmal«, stimmte Colette zu. »Diese Frau, wie hieß sie doch gleich?«
»Hakkandottir.«
»Die werde ich nicht so schnell vergessen. Sie hätte uns das Herz mit ihrer Metallhand herausgerissen.«
»Ja, allerdings.« Modo konnte nicht anders: Er hoffte, dass sie mit der Lindwurm untergegangen war.
»Du wirkst gekrümmt, hast du Schmerzen? Und dein Ausschlag wird schlimmer«, stellte Colette fest.
»Ja, kann sein.« Modo spürte, wie sich seine Gesichtszüge verschoben, sein Körper sich ausdehnte, je mehr er sich aufwärmte. Er hatte das brennende Gefühl in seinem Körper nur für Erschöpfung gehalten. Jetzt riss er zwei Löcher in das Halstuch und zog es über sein Gesicht.
»Dieser Ausschlag, diese Krankheit, was hat es damit auf sich?«, wollte Colette wissen.
»Ich hatte sie schon immer.«
»Und dann konntest du dein Gesicht so manipulieren, dass du ausgesehen hast wie der Gilde-Soldat?«
»Ja.«
»Das Gesicht, das ich bisher von dir kenne, ist gar nicht dein echtes, oder? Das Gesicht hinter dem Tuch ist das, mit dem du geboren wurdest. Habe ich recht?«
»Ja.«
Colette lehnte sich zurück und schloss die Augen. Modo war froh darüber. Vielleicht würde sie nicht bemerken, dass er immer buckliger wurde. Der Gummianzug dehnte sich und engte ihn ein, doch er schien die Blutzirkulation nicht zu beeinträchtigen. Wenn er nur etwas zur Hand hätte, das groß genug wäre, um seinen ganzen Körper darunter zu verbergen!
Eine Stunde oder mehr verging. Es fiel Modo schwer, die Zeit einzuschätzen. Die Wintersonne wärmte nur wenig. Colette lag immer noch mit geschlossenen Augen neben ihm, doch Modo konnte nicht sagen, ob sie schlief.
Ohne die Augen zu öffnen, ergriff sie unvermittelt das Wort: »An der Akademie haben sie mich immer gepiesackt. Die anderen Agenten konnten mich nicht leiden. Ich war eine ainoko – halb Japanerin, halb Französin –, in keiner der beiden Kulturen hatte ich einen Platz. Manchmal kam ich mir vor wie ein Monster.«
Du hast keine Ahnung, wie es ist, ein Monster zu sein, hätte Modo am liebsten gesagt, stattdessen erwiderte er: »Das muss schrecklich gewesen sein.«
»Das war es. Aber es hat mich stärker gemacht. Ich glaube, ich kann mir ungefähr vorstellen, wie du dich fühlst. Wir haben viel gemeinsam durchgemacht und wären beinahe gemeinsam gestorben, Modo. Für mich bist du ein Freund. Ich weiß nicht, warum du Angst davor hast, mir dein Gesicht zu zeigen.«
»Ich habe keine Angst. Das ist eine bewusste Entscheidung.«
»Ich habe dich geküsst, Modo. Jetzt zeige mir dein wahres Gesicht. Oder traust du dich nicht?«
»Das ist kein Spiel.«
»Ich spiele nie Spielchen.«
Erst wenige Monate war es her, dass er Octavia dieselbe Bitte abgeschlagen hatte. Und noch immer versetzte es ihm einen Stich, wenn er sich an ihre Reaktion erinnerte. Colette hatte ihm das Leben gerettet, sie hatten Seite an Seite gekämpft. Was konnte es schon schaden? Sie wollte ihn sehen. Ihn kennen.
Er hatte nicht die Kraft, sich ein anderes Gesicht zu geben.
»Ich … ich bin entstellt. Grauenerregend. Ich warne dich.«
»Modo, ich bin kein Kind.«
Er atmete ein und ließ die Luft pfeifend durch seine platten Nasenlöcher entweichen. Langsam zog er das Tuch herunter.
Colette starrte Modo direkt in die Augen. Dann wanderte ihr Blick über sein Gesicht. Er sah, dass sie sich angestrengt mühte, unbeeindruckt zu wirken. Sie war wie aus Stahl, im Feuer geschmiedet, und trotzdem sah er, wie langsam Abscheu in ihr hochstieg.
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