Mission Clockwork: Angriff aus der Tiefe
innerlich vor Scham zusammen. Aber das waren gute Geschichten, hätte er am liebsten gesagt. Er könnte sich seine Kindheit – oder sein jetziges Leben – nicht ohne Bücher vorstellen. Jede Zeile von Coleridge hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt.
»Jedenfalls bezweifle ich, dass Mademoiselle Brunet ein wirkliches Seeungeheuer verfolgt«, fuhr Mr Socrates fort. »Obwohl ich zugeben muss, dass man nie wissen kann, was die Tiefen des Ozeans hervorbringen. Ich selbst habe mit eigenen Augen Kalmare von der Länge eines Schiffes gesehen, Wale so groß wie Inseln. Manche Mitglieder der Allianz vertreten die Theorie, dass man die Elfenbeinstoßzähne von Narwalen gegen Metallzähne ausgetauscht und sie darauf abgerichtet hat, Schiffe zu versenken.«
»Ist das möglich?«, fragte Octavia mit großen, verstörend schönen Augen.
Modo biss sich auf die Lippe, um sich wieder auf ihren Auftrag zu konzentrieren.
Mr Socrates nickte. »Vor ein paar Monaten hätte ich das noch verneint, doch unsere Begegnung mit der Clockwork Guild hat mir die Augen geöffnet. Immerhin ist es der Gilde gelungen, menschliche Körper und Metall auf eine Art und Weise miteinander zu verbinden, die unser Vorstellungsvermögen weit überschreitet.«
Modo schluckte. Er dachte nicht gern an die Clockwork Guild. Die Gilde hatte beinahe die Parlamentsgebäude in London zerstört und – schlimmer noch – innerhalb weniger Stunden mehrmals versucht, ihn zu töten. Allein bei dem Gedanken an Ingrid Hakkandottir und ihre Metallhand bekam er eine Gänsehaut. Sie suchte ihn immer noch in Albträumen heim. Mehr als einmal war er schweißgebadet aus dem Schlaf geschreckt, weil sie ihm im Traum mit ihren geschliffenen metallischen Fingernägeln ein Auge herausgerissen hatte.
»Wale mit Metallspießen auszurüsten, klingt ganz nach der Clockwork Guild.« Octavia trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Ihre Hunde waren ja schließlich auch halb aus Eisen. Das würde also in jedem Fall zu unseren Erkenntnissen über die Gilde passen.«
»Ich wäre glücklich, wenn ich nie mehr einem dieser Hunde begegnen müsste«, sagte Modo.
»Hab keine Angst, Modo«, erklärte Octavia. »Ich beschütze dich.«
»Ich habe keine Angst! Das war nur eine Feststellung.«
»Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Clockwork Guild in die Sache verwickelt ist«, bemerkte Mr Socrates. »Die Gilde schläft, wie wir das in Agentenkreisen nennen. Die Mitglieder sind untergetaucht. Aber man kann nie vorsichtig genug sein. In der Zwischenzeit halten wir uns an das, was wir wissen. Unter den Dokumenten, die Modo aus der Botschaft beschafft hat, ist auch die letzte Nachricht von Brunet. Ich habe sie entschlüsselt. Demnach wurde ihrem Kommando ein Schiff unterstellt. Wir müssen herausfinden, wohin sie gefahren ist.«
»Und hat Agent Wyle die Antwort auf diese Frage?«, erkundigte sich Octavia.
»Er hätte mir mittlerweile Bericht erstatten sollen. Modo, du musst uns über seinen Verbleib Klarheit verschaffen. Octavia wird dich dabei unterstützen.«
»Ich leite die Nachforschungen, meinen Sie wohl«, warf Octavia ein.
Mr Socrates schüttelte den Kopf. »Modo hat das Kommando. Ihr werdet zusammenarbeiten. Wenn es euch nicht gelingt, mit Wyle Kontakt aufzunehmen, dann lautet euer Auftrag, Colette Brunet aufzuspüren und das Geheimnis des Ictíneo zu lüften. Wir müssen diese Technologie entweder besitzen oder zerstören.«
»Zerstören?«, fragte Modo nach.
»Ja. Ich kann es gar nicht stark genug betonen: Das Fundament Britanniens ist die Seeherrschaft. Wir müssen auf den Meeren die Oberhand behalten. Modo, Octavia, das ist kein unbedeutender Einsatz. Ihr seid jetzt die Augen und Ohren des Empires.«
»Meine Glotzer gehören immer noch mir«, erklärte Octavia und verfiel in die Sprache aus ihren Tagen als Taschendiebin.
»Das ist kein Zeitpunkt für Scherze!« Mr Socrates hob seine Stimme nur leicht, doch es genügte: Modo richtete sich kerzengerade auf seinem Stuhl auf und Octavia ebenso. »Ich schicke euch nicht leichtfertig auf diese Mission. Eure Reisegarderobe habe ich besorgen lassen. Sie steht gepackt im Nebenzimmer. Und noch eine letzte Sache.« Er öffnete eine Kiste, die auf dem Tisch stand. »Nehmt das hier mit.« Er holte einen ledernen Gegenstand heraus, der an einer Sicherheitskette hing.
»Eine Brieftasche?«, fragte Modo.
»Öffne sie«, sagte Mr Socrates.
Modo gehorchte und stellte fest, dass die obere Hälfte der Brieftasche einen
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