Mission Clockwork: Angriff aus der Tiefe
wahr?«, stimmte Octavia zu. »Auch wenn ich nach fünf Tagen langsam genug vom grenzenlosen Nichts habe. Ich möchte endlich Amerika sehen, durch die Straßen von New York spazieren und in den Trubel eintauchen! Stell dir nur vor: New York! Vielleicht gefällt es uns so gut, dass wir einfach dort bleiben.«
»Sag das nicht. Wir haben einen Auftrag!«
»Ach, manchmal bist du einfach fürchterlich kleinkariert! Du brauchst eine ordentliche Mahlzeit. Gehen wir ins Café Paris.«
Sie führte ihn über einen Gang bis zur Mitte des Oberdecks. Über ihnen ragte ein Schornstein auf, aus dem unablässig Rauch quoll, der tief aus dem Bauch des Schiffes emporstieg. In dem Café saßen mehrere Gentlemen mit ihren Gattinnen beim Frühstück. Modo und Octavia fanden einen freien Tisch neben einem Mann, der in die Times vertieft war.
»Das ist doch nicht die heutige Ausgabe, oder?«, scherzte Modo.
Der Herr blickte auf und musterte Modo mit zugekniffenem Auge durch sein Monokel. »Durchaus nicht« , erwiderte er und steckte die Nase wieder in die Zeitung.
»Es muss ganz schön anstrengend sein, so ein Schlaukopf zu sein«, flüsterte Octavia. »Nie ein Lächeln, nie ein Schmunzeln. Wusstest du eigentlich, dass es auf den unteren Decks tausend Passagiere dritter Klasse gibt, während wir hier oben nur um die hundert sind und die Sonne genießen können?«
»Das finde ich ungerecht.«
»Oh ja, das ist ungerecht.« Octavia zuckte mit den Schultern. »Aber für das Problem haben wir im Augenblick keine Zeit. Schließlich wollen wir einen wirklich dicken Fisch fangen.« Sie lachte über ihren eigenen Scherz.
Als der Kellner auftauchte, bestellte Modo Porridge und Octavia entschied sich für Eier und ein Croissant.
»Also, wir sind auf der Suche nach einem Agenten, der wiederum eine Kreatur aus den Meerestiefen sucht«, fasste Modo zusammen und rezitierte dann aus dem großen Repertoire an Literatur, das er verinnerlicht hatte: »Fünf Faden tief dein Vater liegt …«
»Schon wieder Shakespeare, Modo? Wie abgedroschen.«
»Das ist nicht abgedroschen!«, fuhr er sie an und war selbst überrascht, wie laut er wurde. »Das ist Kunst!«
»Pfff!« Octavia winkte ab. »Du weißt, wie ich über Shakespeare denke – sterbenslangweilig.«
Modo schwieg, bis das Essen aufgetragen wurde, dann fragte er: »Hast du eine Vermutung, was mit Mr Wyle geschehen ist? Meinst du, er wurde entführt?«
»Ach, wahrscheinlich ist er voll wie eine Strandhaubitze.«
»Wie bitte?«
»Betrunken. Das ist meine Vermutung.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von Mr Socrates’ Agenten sich betrinken würde. Das wäre unprofessionell.«
»Ich erlebe das ständig. Die älteren Agenten fühlen sich mit der Zeit ausgebrannt und fangen an zu trinken.«
»Hm. Na ja, wir müssen einfach abwarten, ob du mit deiner Vermutung richtigliegst. Und da wir gerade bei Vermutungen sind: Was, glaubst du, steckt hinter Ictíneo? Ist das ein riesiger Fisch?«
»Ich habe keine Ahnung. Und Mr Socrates ganz offensichtlich auch nicht.«
»Was meinst du, warum hat er uns gemeinsam losgeschickt?«
»Weil er weiß, dass du jemanden brauchst, der auf dich aufpasst.«
»Das ist nicht wahr!«
»Wer hat dich denn aus der Themse gezogen? Tharpa? Mr Socrates? Die Queen?«
»Du warst das, Tavia«, sagte Modo. »Muss ich dir jeden Tag dafür danken?«
»Ja. Morgens, mittags und abends. Weihnachten und die Sonntage kannst du auslassen.« Octavia lachte. »Willst du wirklich meine Meinung hören: Ich glaube, er hat uns geschickt, weil wir seine jüngsten Agenten sind. Er benötigte zwei Leute, die überzeugend ein Ehepaar spielen können. Da musste die Wahl logischerweise auf uns fallen. Und einige seiner Agenten sind so hässlich – niemand würde ihnen abnehmen, dass sie jemanden gefunden haben, der sie heiratet.«
Sie grinste. Modo blieb allerdings das Lachen im Halse stecken. »Ja, einige seiner Agenten sind sicher hässlich.«
»Ich muss zugeben, Modo, mir gefällt das vornehme Leben«, sagte Octavia und machte eine ausladende Handbewegung über das Deck. »Vielleicht setze ich mich zur Ruhe, wenn ich einen geeigneten reichen Gentleman finde.«
»Du setzt dich nie zur Ruhe«, widersprach Modo und bemühte sich, das Bild von Octavia mit irgendeinem beleibten, reichen Pinkel aus seinem Kopf zu verbannen.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.« Sie betrachtete ihn erneut prüfend. »Was ich immer noch nicht verstehe, ist, wie du dein Aussehen verändern
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