Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition)
diesem Zweck da. Um auf das Kind zu achten. Was waren da schon ein Kohlenmeiler und sein Stolz dagegen?
»Du sprichst wahr, Derngard«, hörte er sich plötzlich sagen. »Wir gehen fort. Noch heute.« Verblüfft unterbrach die alte Njörndaaler Baderin ihren Redefluss; erstaunt sah ihn auch Ariane an. Nur kurz aber, dann sagte sie lachend: »Das ist mein Mors!« Auch die Alte lachte ihr zahnloses Meckern, erleichtert.
Als Mors sich jedoch aus dem Fenster beugte, und obwohl die anderen sein Gesicht nicht sehen konnten, verstummte das Lachen abrupt, seine Körperhaltung und die Art wie seine Hände das Holz der Fensterbank umklammerten, sprachen Bände. Ungewohnt wild fuhr er herum und war aus dem Haus, noch bevor eine der Frauen das Wort an ihn richten konnte.
Die Zeit verging und niemand sprach. Ariane fürchtete sich davor, an das Fenster zu treten. Sie wusste bereits, was sie dort sehen würde. Eine leere Stelle, eine schrecklich leere Stelle. Mors aber rannte durch das Dorf und keinen Winkel ließ er aus, und keine Ecke gab es, in der er nicht mehrmals nachsah. Jeden hielt er an und fragte nach dem Kind, und die Unwilligen hielt er fest, und schüttelte sie, bis sie antworteten.
In ihre Häuser ging er und unterbrach sie bei allem, was sie taten, und als er sich zum Haus des Meiers wandte, da schloss sich dieser eilig ein, denn er hatte die Neuigkeit bereits vernommen und fürchtete um sein Leben. Nur zu gut war jenem der kurze Besuch des riesenhaften Köhlers in Erinnerung. Der Raum hatte sich verdunkelt, als Mors den Türrahmen ausfüllte. Nach einem für den Meier bangen und stillen Moment hatte der dunkle Schatten nur einen Satz gesagt, der seitdem dafür sorgte, dass er schlecht schlief. »Wenn das Kind das Dorf verlässt, verlässt du diese Welt.« Dann hatte sich der Köhler umgedreht und war, seine empörten Proteste ignorierend, wieder gegangen.
Und nun war das Kind verschwunden! Hastig ordnete der Ortsvorsteher eine Suche an, in der verzweifelten Hoffnung, Gnade zu finden, bevor er die Tür wieder schnellstens von innen verriegelte. Tatsächlich fanden sich nicht wenige, die bereit waren, zu helfen und so dehnten sie die Suche auf die angrenzenden Wälder aus.
Den Bachlauf hinauf und herunter sah man die Fackeln tanzen und es hätte ein munteres Bild abgegeben, wäre nur der Zweck ein anderer gewesen. Stunde um Stunde suchten sie und fanden das Kind doch nicht, denn es war geübt darin, anderen aus dem Wege zu gehen, und es kannte die Wälder rund um Njörndaal besser als die meisten.
Einer nach dem anderen gab auf und sie murmelten Dinge wie: dass ein neuer Tag auch neue Hoffnung bringe und dass bei Licht alles anders aussähe, und dergleichen mehr, und alle fühlten sie sich unwohl, wenn sie Mors ansahen – und alle schämten sie sich.
Mors aber stapfte weiter durch den Wald. In immer größeren Bogen grub er sich durch das Unterholz und begann, nach dem Kind zu rufen. »Mors´ Liebling«, schrie er die ganze Nacht hindurch und mal hörte man es in Njörndaal klar und laut, mal von weit her kommend, und nur die gröbsten Naturen schliefen in dieser Nacht gut.
Am nächsten Morgen schlossen sich die Männer wieder der Suche an, doch auch an diesem Tag fanden sie keine Spur von dem Mädchen.
Sechs Tage und Nächte suchte Mors der Köhler und schrie sich das Herz aus dem Leib. Außer ein paar hastigen Schlucken Wasser hatte er nichts zu sich genommen, die Kleider schlotterten zerfetzt um seinen Körper und lange schon suchte er fast allein, und jene wenigen, die ihn noch begleiteten, taten es um seinetwillen und nicht, weil sie hofften, das Kind zu finden. Niemand wagte, ihn auf die Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen anzusprechen, denn er hatte Wildheit im Gesicht und seine dunklen Augen brannten vor Entschlossenheit.
Sechs Tage und Nächte irrte er umher, wohl ein Dutzend Mal sah er bei dem hohlen Baume nach, in dem er das Kind gefunden hatte; und als er das letzte Mal den Kopf aus der Höhlung zog, brach er mit einem Aufschrei der Enttäuschung wie tot zusammen. Selbst dann trauten sich die Verzagten noch nicht an ihn heran, so, wie man ein verwundetes Tier fürchtet. Erst als die alte Derngard sie schimpfend anwies, nahmen sie den leblosen Körper auf und trugen ihn zu seiner Frau. Das Kind aber blieb verschwunden.
Zwischenspiel
L eise sprach der Gott, mit gedämpfter Stimme, und doch schwang sein Ärger mit und malte dunkle Wolken an die Himmel der Welten:
»Du hast dich lange nicht
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