Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition)
verehrten, und dabei doch von erhabener und alles durchdringender Moral geleitet waren. Obwohl keine Kinder des Schöpfers selbst, hatten sie sich im Einklang mit der Natur in einer Art in die Welt gefügt, die selbst den Anforderungen seines eigenen Volkes gerecht wurde. So dachte Luthien und kam erneut zu dem vorläufigen Schluss, dass dem Volk der Menschen bislang einige entscheidende Erkenntnisse verschlossen geblieben waren und so oft er zu diesem Urteil kam, in all den Jahrhunderten, fühlte er sich nicht wohl dabei.
Die Augen des Mädchens aber waren eher Wächter denn Tore ihrer Seele und also mussten sie auch etwas beschützen. So zumindest deutete Luthien die Dinge.
»Hast du mich verstanden?«, fragte er nach einer Zeitspanne, die auch einem Elf lang vorkam; und diesmal antwortete sie sofort. »Du sagst, du bist ein Elf und man hat dich geschickt, um auf mich aufzupassen«, wiederholte sie ziemlich genau seine eigenen Worte. »Du hast mich gehört. Soviel steht fest. Aber hast du verstanden, was es bedeutet?«, lächelte er sanft.
»Warum?«
»Nun, weil es eine Unterhaltung sinnvoller gestaltet, wenn man sich versteht. Glaubst du nicht auch?«
»Nein, ich meine, warum musst du auf mich achten?«
»Weil meine Herrin der Meinung ist, dass du etwas sehr Besonderes bist und ich glaube das auch. Verrätst du mir nun deinen Namen?« Dass seine Worte sie betrüben würden, hätte er nicht erwartet.
»Ich wäre lieber nichts Besonderes und einen Namen habe ich nicht«, sagte sie traurig und seine Augen wurden violett vor Mitgefühl. So klein für eine so große Bürde war sie, soviel musste sie schon ertragen und so viel mehr würde es noch werden.
»Manchmal wird man nicht gefragt, was man lieber wäre.«
»Warum?«
»Das kann viele Gründe haben. Vielleicht, weil nur du eine Aufgabe erfüllen kannst. Weil es dein Schicksal, deine Bestimmung ist. Oder, weil der Wirker der Welten es so beschlossen hat.« Wieder entstand eine Pause, in der Luthien Gelegenheit hatte, sie beim Nachdenken zu beobachten. Nicht drängen, behutsam führen. So hatte Raissa, seine Herrin ihm gesagt. Und sie hatte noch mehr gesagt und es graute ihn, wenn er daran dachte.
»Tut alles, was notwendig ist, das Kind zu schützen, Luthien. Wenn es sich aber erweisen sollte, dass es zur falschen Seite neigt, tötet es!«
Wie im Namen des wandelnden Gottes konnte er so etwas Abscheuliches tun? Er hatte viel getötet in den über sechstausend Jahren, seit er gewirkt wurde; und niemals hatte er es gerne getan. Aber es reute ihn auch nicht, denn stets war es notwendig und angemessen gewesen. Aber ein Kind? Ein Mädchen?
»Ihr verlangt sehr viel, Herrin. Zuviel womöglich?«, hatte er ihr getrotzt und das war in all den Jahrhunderten zuvor nie geschehen. In Erwartung ihrer Ungnade senkte er den Blick, aber zu seiner Überraschung klangen Freundlichkeit und Verständnis aus der Stimme der Prinzessin. »Nicht nur wir entsenden unsere Besten, Fürst Luthien. Die Jäger des Feindes haben die Fährte aufgenommen. Euer Mitgefühl spricht für Euch und doch darf es Euch nicht hindern. Ihr müsst tun, wie ich Euch heiße. Sollte sie lebend in die Hände der anderen fallen oder ihnen gar zugetan sein, sind die Folgen unausdenkbar. Wenn solches droht, Luthien, müsst Ihr das Kind töten!« Dann spürte er ihre Hand an seinem Kinn und sie hob seinen Kopf, damit er sie ansehen solle.
Durchdringend war ihr Blick. Eine Frage stand darin. Lange, sehr lange hielt dieser Moment an und wieder einmal, wie schon so oft, war er erstaunt über ihre Härte, die in einem so gewaltigen Widerspruch zu ihrem ganzen Wesen stand. Klingensturm nannte ihr Volk sie und das hatte seinen Grund, denn die Elfen erweisen diese Ehre nur selten und nur den Wenigsten. Niemand, den er kannte, beherrschte die Kurzschwerter wie sie, und war ihr Zorn erst einmal geweckt, dann war das Schicksal ihrer Gegner besiegelt. Doch nie, niemals tötete sie ohne Grund. So beugte er sich letztlich ihrem Urteil und nahm ihren Auftrag an. »Es wird so geschehen, wie Ihr es befehlt, Raissa Klingensturm, Prinzessin der Elfen und Legatin von Araas´ Gnaden«, hörte er sich sagen und es war ihm, als höre er einen Fremden sprechen.
»Verschweigt dies dem Menschenkönig, denn er würde es nicht verstehen. Und verschweigt es dem Geistgreifer, denn ich fürchte, sein Mitgefühl wird seinen Verstand besiegen.«
»Verstehe ich es denn?«, flüsterte er.
Wieder jener Blick. So wissend und so
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