Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition)
ersten Strahlen der schwächer werdenden Sonne den Spalt zur Höhlung fanden, lagen Früchte und allerlei Nüsse vor dem Eingang ihrer Behausung und das Kind dankte seinen haarigen, pelzigen und gefiederten Freunden dafür. So erging es dem Kind im Tjorkewald und sicherlich wäre es den Köhlern ein Trost gewesen, darum zu wissen.
Luthien hielt sich, mit dem angeborenen Geschick seiner Rasse, stets verborgen, und trug Sorge, dass dem Kind kein Leid geschah. So gingen einige Tage ins Land, und es hätte alles gut sein können, denn der Geistgreifer war nicht fern. Doch als der Fürst am dritten Tag seinen Durst am Bach löschen wollte, entdeckte ihn das Kind, denn die nahen Vögel stoben auf, weil er versäumt hatte, zu ihnen zu sprechen. Sofort übertrug sich die Unruhe auf die anderen Tiere und das weckte die Aufmerksamkeit des Kindes.
Luthien aber sah ein wundersam hübsches Bild, als er aufblickte, weil auch er die Stille bemerkte. Da stand das Kind und Dutzende von Hasen und Kaninchen, Waldmäusen und Eichhörnchen sprangen um es herum, während über seinem Kopf die Vögel kreisten. Zwei Hirsche hatten sich zuseiten des Kindes aufgebaut und ihr Geweih leicht gesenkt, und wenn auch Unsicherheit aus ihren braunen Augen sprach, ließ ihre Haltung keinen Zweifel daran, dass sie das Kind zu schützen beabsichtigten. Das war staunenswert und unerhört gleichermaßen, denn selbst die wildesten Räuber des Waldes standen seinem Volk zutraulich gegenüber. Ruhig sah Luthien dem Kind entgegen, blieb in der Hocke auf Augenhöhe und sagte, nach einer auch für sein Empfinden langen Weile, schließlich freundlich: »Guten Tag. Mein Name ist Luthien. Ich bin ein Elf und wurde geschickt, um auf dich zu achten. Hast du auch einen Namen?« Dann ließ er sich auf die Knie nieder, setzte sich auf die Fersen und überließ dem Kind den nächsten Schritt.
Da saß vor ihr jetzt also das schönste Wesen, dass sie je gesehen hatte, behauptete ein Elf zu sein, und sie wusste nicht einmal, was das war. Stundenlang hätte sie ihn nur anschauen mögen, diese andersartigen Augen bestaunen oder seiner Stimme lauschen, die irgendwo zwischen Gesang und Sprache spielte. So wartete sie einfach ab, was weiter geschehen würde, denn bedroht fühlte sie sich nicht. Hatte er gesagt, er solle auf sie achten?
Der Elfenfürst seinerseits befand sich im Zustand mäßiger Verwirrung. Üblicherweise war es Angehörigen seines Volkes ein Leichtes, die Gefühle anderer wahrzunehmen und so auch ihm. Bei diesem Mädchen aber schienen seine Sinne zu versagen. Weder konnte er einschätzen, ob sie ihm glaubte, noch vermochte er zu spüren, ob ihr gefiel, was sie hörte. Auch wenn die Menschen ihre Augenfarbe nicht wechselten, so war ihre Stimmung doch deutlich erkennbar und man konnte ihre Blicke lesen.
Raissa nannte die Augen das Tor zur Seele. Er selbst hatte immer seine Zweifel gehabt, diesbezüglich. Warum nur sollte der Schöpfer solch kurzlebige Wesen wie die Menschen beseelen? Wie soll die Seele lernen und sich entwickeln, in diesen paar Jahren der orientierungslosen Suche, der Fehler und Irrtümer? Ja, es gab auch unter den Menschen solche, die die Anerkennung und Wertschätzung seines Volkes verdienten, aber sie waren selten und man musste durch die Jahrhunderte zählen, um auf eine nennenswerte Anzahl zu kommen. Von den Lebenden ganz zu schweigen.
Wenduul von Thule war sicherlich einer von jenen, aber er hatte auch unter den Elfen gelebt. Keleb Feuerbart zählte Luthien dazu, aber er war König und Sohn, Enkel und Urenkel von Königen, seit der Gründung Thules. Sicher gehörten auch die Legaten der Menschen in den Kreis der vom Volk der Elfen Geachteten, aber hatte nicht Araas, der Wanderer und Sohn des Weltenschöpfers, sie selbst erwählt? In keinem anderen Volk war der Anteil jener, die nur zum eigenen Wohl und Nutzen lebten, derart hoch; und in keinem anderen Volk waren die Auseinandersetzungen, die daraus resultierten, so häufig und so blutig.
Nicht bei den Zwergen, die sehr wohl ihre Eitelkeiten pflegten, neu- und wissbegierig waren und die schönen Dinge des Lebens zu schätzen wussten. Stolz und Draufgängertum waren ausgeprägt, doch ihr aufbrausendes Wesen und ihr Hang zum Kriegerischen wurden stets von einem tiefen Gefühl für Freundschaft und Gerechtigkeit geadelt und im Zaum gehalten.
Nicht bei den Bewohnern des Höhlenreichs, den gewaltigen, grünhäutigen Orks, die, mit ungeheurer Stärke ausgestattet, den Kampf liebten und
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