Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition)
direkt an, und es war, als sähe sie in ihre eigenen Augen. Doch dann war etwas Seltsames geschehen. Für einen winzigen Moment hatte Wenduul seine rasenden Angriffe unterbrochen, hielt inne, als wäre auch er überrascht, zögerte für eine kaum messbare Zeitspanne und Brim gelang es endlich, den Schirm zu errichten, der dem Zorn Wenduuls Einhalt gebot und der sie rettete. Am ganzen Körper zitternd war sie zu Boden gesunken und hatte den Krüppel mit ehrlicher Dankbarkeit, auch Schutz und Hilfe suchend, in die Arme geschlossen, aber der Magier war nicht zurückgekehrt.
Dritter Teil
»Aus solchem aufgezwungenen Frieden müßte neuer Haß zwischen den Völkern und im Verlauf der Geschichte neues Morden erwachsen.«
Friedrich Ebert, 1. Reichspräsident der Weimarer Republik
am 08.09.1919
*
»Frieden ist nur dann, wenn er von allen Beteiligten aus freien Stücken geschlossen wird. Alles andere ist Unterwerfung.«
Keleb der Feuerbart, König von Thule
im Jahre 471 nach dem großen Krieg
Der Ausbruch
E insamkeit war eine neue und unwillkommene Erfahrung für das Kind und es trachtete danach, sie zu besiegen. An die Zeit, bevor Mors es gefunden hatte, besaß es keine Erinnerung. Seit es im Dorf aber einen Säugling gesehen hatte, war es sich sicher, selbst nie ein Kleinkind gewesen zu sein. Sein erstes Bild war jenes eines scharf begrenzten Lichtstrahls, der durch die geborstene Hülle des uralten Baumes fiel, welcher es schützend umgab. Da aber war es sich schon genau so vorgekommen wie heute. Wie hätte es auch überleben können, alleine, im Wald, als S äugling?
Die erste bewusste Wahrnehmung war das Gesicht von Mors, wie es den hellen Spalt, der den Eingang in den hohlen Baum markierte, fast ausfüllte. »Na, wer bist du denn?«, hatte er gefragt und das Kind hatte geschwiegen, denn es wusste keine Antwort, und obwohl es die Worte verstand, fiel es ihm schwer, sie selbst zu formen. Ganz im Gegenteil hätte seine eigene Frage aber wohl gelautet: Ja, wer bin ich? Eine Weile sahen sie sich stumm an, aber es war eine freundliche Stille und frei von Angst.
»Du hast es nicht so mit der Sprache, wie?«, brummte Mors. »Was ein Glück, das ich die Ruhigen gut leiden mag.« Dann schoben sich riesige Hände in die Geborgenheit ihrer Höhle, hoben sie an und auf die Schulter des Riesen, und die Welt sah wunderbar aus von dort oben. Mors war wie selbstverständlich los gestapft und das Kind war, wie selbstverständlich, sitzen geblieben; und so hatte es sich zugetragen.
Daran dachte das Mädchen und an die Zeit mit Mors und Ariane, denn nun war es wieder allein und zu dem Baum zurückgekehrt. Dessen Höhlung barg es jetzt erneut , seit Mors nicht mehr nach ihr suchte. Mors´ Liebling, hatte er geschrien; und das kleine Herz war fast zerbrochen daran. Durch Blattwerk und Busch, die Hänge hinauf und hinab hatte seine Stimme geklungen und so stopfte es sich Lehm von der Böschung des Bachlaufs in die Ohren, um nicht mehr teilzuhaben an seinem Leid und ihr eigenes nicht zu nähren. Irgendwann musste selbst der bärenstarke Mors aufgeben und es war still geworden. Doch mit der Stille kam die Einsamkeit und mit der Einsamkeit die Unsicherheit. Aber das Kind besiegte die Einsamkeit und auch deren feige Schwester, die Angst. Denn die Seele des Kindes war gewachsen an den Herausforderungen seiner Träume und die grässlichen Botschaften, die jene enthalten hatten und deren Bedeutung ihm von rätselhafter Bedrohlichkeit blieben, härteten es. Und so war es auch mit seinem Willen.
Obwohl es sich der Macht, die größtenteils noch in ihm schlummerte, nicht bewusst bedienen konnte, strahlte es etwas aus, das selbst die größten Räuber des Waldes Abstand halten ließ. Die kleinen Waldbewohner aber spürten die Sicherheit, die ihnen die Gegenwart des Kindes verschaffte, und hielten sich gerne bei ihm auf. Jeden Tag warteten ein paar Hasen, Eichhörnchen und andere kleine Nager mehr darauf, dass das Kind seine Höhlung verließ. Die Rehe ästen in Gruppen auf der kleinen Lichtung vor dem großen Baum, Vögel saßen zu Dutzenden im Geäst des Baumriesen und pfiffen und zwitscherten herab und selbst die Fische im nahen Bach schwammen in engen Kreisen um seine Füße und kitzelten die Zehen im kalten Wasser. Die spätsommerlichen Nächte brachten Kühle mit sich, und wenn das Kind dann fror, drängten sich die Tiere eng um den kleinen Körper und hielten ihn wie eine lebendige Decke warm. Wenn dann der Tag anbrach und die
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