Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition)
stürzt sie nach unten, dem brennenden Häusermeer entgegen, einer Kreuzung zu. Breite Straßen treffen dort aufeinander, ihr schwarzer Belag kocht und Menschen, die aus Häusern fliehen – höher als die größten Bäume des Borkenlandes – sinken bis zu den Knöcheln in der brodelnden Masse ein. Der Feuerorkan, der durch die Steinschluchten tobt, plötzlich um Ecken rast, reißt ihnen die Schreie von den Lippen. Mannigfaltiges Sterben rings um sie her, als könne der Tod, angesichts der vielen sich ihm bietenden Möglichkeiten, kaum entscheiden. Die Menschen werden erstickt, von Einstürzendem erschlagen, sie verbrennen, sie vertrocknen. Es ist nicht Tag, noch Nacht, die Sonne, ein blindes Auge, durchdringt einen von Zerstörung geschaffenen Himmel kaum.
Ein Mann steht neben ihr. Der Elf sprach von ihm und sie kennt ihn. Grüne Augen schauen aus großer Höhe auf sie herab, kommen näher, als er in die Hocke geht und nach ihren Händen langt.
»Du musst zu mir kommen!«, spricht er, ohne die Lippen zu bewegen, und so antwortet sie auch.
»Du bist der Geistgreifer.«
Er neigt leicht den Kopf und dann spürt sie seinen Griff. Die Sonne bricht durch und unter ihren nackten Füßen verschwindet kochender Teer, macht Waldboden Platz.
»Du weißt um den Weg?«, fragt er und sie nickt.
»Dann geh und lass dich durch nichts aufhalten. Dies hier ist nur ein Traum und was er zeigt, liegt noch fern.«
Der Baum, ihr Baum, erhebt sich hinter ihr, verdeckt die brennenden Gerippe der Stadt. Vor ihr liegt der Bach und vor dem Bach steht Luthien. Seine Hände sind blutig und sein Blick auf die Flammenwand vor ihm gerichtet. Dann dreht er sich um.
»Was ist mit meinen Eltern?«, fragt sie und sie sieht, wie sich die grünen Augen weiten, spürt, wie sich sein Griff verstärkt, ahnt, welche Antwort sich formt, fürchtet sie – mehr als alles andere – und stößt ihn zurück.
»Deine Tiere sind in Sicherheit«, sprach Luthien laut, um gegen das Brüllen des nahen Brandes anzukommen. Dann erschrak er. Die Augen des Kindes waren von nebliger Farbe, die Farbe der Sonne über dem Feuerorkan, aus dem sie kam und in dem sie Wenduul zurück gelassen hatte, aber das konnte der Elf nicht wissen. Und doch wusste er, als er ihrer ansichtig wurde, um die tief greifende Veränderung, die sie erfahren hatte. Ich verliere sie, dachte er noch, bevor ihn die Entladung ihrer Kräfte traf, Feuer ihm den Atem nahm und er brennend niedersank.
»Meine Eltern!«, schrie das Mädchen. »Weil ich sie schütze«, rief sie, »weil ich sie schütze!«, und ihre Stimme klang nach Brand und öffnete einen Durchgang in der Flammenwand.
Wo das Kind ging, wich das Feuer zurück, denn es erkannte seine kleine Herrin und es hielt inne. Ruhig standen die Flammen, turmhoch und ließen sie passieren – um ihr dann zu folgen.
»Weil ich sie schütze«, schrie sie und nun klang sie ganz wie das Tosen der Flammen um sie her und es war, als würde das Feuer ihr zujubeln und sie feiern. Sie, die es befreite von allen Schranken; und von nun an führen würde.
Feuer und Stahl
U ngnade war das vorherrschende Element in der Unterhaltung des Oberscharführers mit dem Sturmmann gewesen, der, seinen Befehlen zuwiderhandelnd, die Stellung als Beobachtungsposten verlassen hatte. Dieses unbotmäßige Verhalten fügte sich nahtlos in die Kette von Unerfreulichkeiten des heutigen Tages und er war gewillt, seinen Untergebenen das auch spüren zu lassen. Erst nachdem weitere Männer der Postenkette zurückgekehrt waren und auch sie ihre Beobachtungen in das überhebliche und ungläubige Gesicht ihres Befehlshabenden gesprochen hatten, änderte sich die Situation.
»Das Feuer hat die Richtung gewechselt?«
Mehrmals schon hatte er nachgefragt und mehrmals war die Antwort dieselbe geblieben. Die Umstehenden verzichteten auf eine weitere Wiederholung und wahrscheinlich wurde auch keine erwartet. Die stetige Nachfrage war mehr ein Zeichen der Ratlosigkeit und dieser Verdacht erhärtete sich, als der Oberscharführer begann, seinen Hals zu massieren, während er darum bemüht war, den Eindruck zu erwecken, er denke nach. Wieder ging er in die Knie und ließ Sand zwischen seinen Fingern hindurch rieseln.
Kein Zweifel. Der Wind blies in die entgegengesetzte Richtung, aus der, laut Meldungen seiner Leute, das Feuer sich bewegte. Und es bewegte sich über bereits verbrannte Erde! Seine Gedanken, mehr Gedankenfetzen, jagten einander durch den Kopf.
Dieses Kind! Und dann jener
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