Mission Herodes - Die vier Reiche (German Edition)
war damit nur wenig erfolgreich gewesen. Jene waren geradezu besessen davon, vermeintliche Fortschritte einer sofortigen Anwendung zu unterziehen, auch wenn die Folgen kaum absehbar waren. So beschloss er, sich mit dieser Frage nicht auseinanderzusetzen.
»Meister Wenduul wird dir das erklären, aber du siehst müde aus. Hat es dich sehr angestrengt? Möchtest du dich ausruhen?« Anstelle einer Antwort zog sie seinen Arm um sich und kuschelte sich an ihn. »Der Geistgreifer«, gluckste sie mit bereits geschlossenen Augen, brachte ihn damit zum Lächeln und war nur wenig später eingeschlafen. Mit Mitgefühl und Sorge betrachtete der Elf das Kind, das da zusammengerollt, seinen Arm mit ihren beiden festhaltend, lag, und nun wieder nur wie ein ganz normales kleines Mädchen aussah.
Und doch hatte sie getan, was selbst die meisten Elfen nur aus Überlieferungen kannten. Das Kind hatte das Rad der Zeit bewegt. Nicht den Lauf des Wassers hatte sie beeinflusst, sondern den Lauf der Zeit selbst. Was das bedeuten mochte, konnte auch der Fürst nur erahnen; und er war sich, in unangenehmer Weise, der Schwere des Dolches an seinem Gürtel erneut bewusst.
Dann registrierte er noch etwas Ungewöhnliches. Es herrschte eine nahezu vollkommene Stille auf der kleinen Lichtung und im sie umgebenden Wald. All die Tiere, die stets um das Kind waren, hielten respektvollen Abstand. Die Vögel saßen im nahen Geäst und blickten mit stummen Augen auf das Mädchen und selbst die Fische verharrten bewegungslos im Wasser. Kein Blatt bewegte sich und selbst das Summen und Brummen der Bienen, die vor dem nahenden Herbst ihr Volk versorgen sollten, hatte aufgehört. Luthien spürte die Frage, die das ganze Leben sich stellte: Würde sie Gutes bringen oder Gefahr? Und er fühlte sich darin eins mit ihm.
Der zweite Tag
V ielleicht, dass die Tiere einen Augenblick eher wach und bereit waren als Luthien. Wie jeden Abend, wenn sich das Kind zum Schlaf in den Baum begab, hatten sie es zahllos begleitet, umgeben und gewärmt. Immer taten sie so, bis auf den Tag und die Nacht, in der der Elf das Kind behütet hatte, und sie sahen es gerne, dass Luthien so verfuhr, denn er löschte die Flammen, heilte Busch und Gras und sprach zu dem Fluss wie zu einem Bruder. Auch jetzt war er bei ihnen und dem Kind, hob witternd den Kopf, ganz so wie sie es taten, hieß sie leise und ruhig zu sein, und schob sich geräuschlos dem Spalt des Ausgangs zu, durch den ein Unheil verkündender rötlicher Schein fiel. Langsam folgten die Tiere dem Fürsten und es wirkte, als ziehe er einen weiten Pelzumhang hinter sich her. Bevor er sich aufrichtete, sah er noch einmal nach dem Mädchen, aber es schlief und Luthien bedeutete einigen von ihnen, zurückzukehren, damit es nicht fröre. Zögerlich, aber gehorsam, folgten die kleinen Waldbewohner der Aufforderung des Elfen, denn ihr Vertrauen in ihn und sein ganzes Volk war groß und stet.
Dunkel, fast schwarz waren die Augen Luthiens nun, denn sie passten sich dem Dämmerlicht an und der Widerschein des roten Himmels reflektierte sich in ihnen. Schon beim Erwachen hatte er Brand gerochen und nun bestätigte das Bild, das sich ihm bot, seinen Geruchssinn. Weit jenseits des Bachlaufs wütete ein Feuer und das kühle Licht der Sterne verblasste gegen die rote Glut und selbst die Monde schauten scheinbar ungerührt und in Rot getaucht der sich ausbreitenden Verwüstung zu.
Ein mächtiges Feuer musste da toben, dass es solche Leuchtkraft hatte und es würde, genährt durch die Trockenheit eines überlangen Spätsommers, nicht aufzuhalten sein. In Ruhe und doch zügig schätzte der Elf ihre Aussichten ab, bewertete den Lauf des Baches, der den Standort des hohlen Baumes halbkreisförmig umgab, maß die Höhe der Bäume und berechnete ihre Fallweite, wenn sie denn brennend niedergehen würden. Prüfend drehte er sein Haupt etwas, erst zur einen, dann zur anderen Seite und beobachtete, wie der Wind sein langes Haar verblies und mit welcher Kraft er solches tat. Schließlich drehte er sich zu den Tieren, die ihn erwartungsvoll beobachtet hatten während seines Tuns, die kleinen und großen, Jäger und Gejagten, sanftmütigen und kämpferischen, wie sie alle seiner Entscheidung harrten. Dann ging er zu dem größten der Hirsche, die seit Tagen den Eingang zum Baum bewachten, und führte ihn still mit sich, fort von der drohenden Gefahr.
Erst als er weit genug entfernt von dem Baum war, in dem das Kind noch immer schlief, sprach er
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