Mission Walhalla
Täter das Eiserne Kreuz verleihen.»
«Major Sawostin sieht das anders. Er hat mir zweiundsiebzig Stunden Zeit gegeben, um ihm den Mörder zu präsentieren, sonst werden willkürlich fünfundzwanzig deutsche Soldaten rausgepickt und in Stalingrad vor ein NKWD -Gericht gestellt.»
«Wo wohl kaum mit einem Freispruch zu rechnen ist.»
«Genau.»
Ich zuckte die Achseln. «Also appellieren Sie an die Männer und fordern den Schuldigen auf, sich zu melden.»
«Und wenn das nicht funktioniert?» Er schüttelte den Kopf. «Nicht alle
plenis
hier sind Deutsche. Nur die Mehrheit. Und darauf habe ich den Major auch hingewiesen. Er ist jedoch der Meinung, dass ein Deutscher das beste Motiv gehabt hätte, Gebhardt umzubringen.»
«Da hat er recht.»
«Major Sawostin hält nicht viel von deutschen Wertvorstellungen, aber sehr viel von unserer Fähigkeit, rational und logisch vorzugehen. Da ein Deutscher das beste Motiv für den Mord hatte, findet er es nur angemessen, dass wir auch am meisten zu verlieren haben, wenn der Mörder nicht identifiziert wird. Er meint, das wäre für uns der beste Ansporn, seine Arbeit zu erledigen.»
«Und was hab ich damit zu tun, Herr Oberst?»
«Kommen Sie schon, Gunther. In Krasno-Armeisk weiß doch jeder, dass Sie Kommissar in Berlin waren. Und als der ranghöchste Offizier hier fordere ich Sie auf, die Ermittlung in dem Mordfall aufzunehmen.»
«Eine richtige Ermittlung?»
«Vielleicht wird das alles gar nicht nötig sein. Aber Sie sollten sich wenigstens mal die Leiche ansehen, während ich die Männer antreten lasse und den Schuldigen auffordere, sich zu stellen.»
Als ich durch das Lager ging, wehte ein frischer Wind. Bald kam der Winter. Man spürte ihn schon in der Luft. Und man hörte ihn an den Fenstern von Gebhardts Privathütte rappeln. Das trostlose Geräusch war fast ebenso laut wie mein knurrender Magen, und ich bereute, dass ich keinen Lohn für meine kriminalistischen Dienste gefordert hatte. Ein Extrastück
chleb
. Eine zweite Schüssel
kascha
. In K.-A. meldete sich niemand zu irgendwas freiwillig, es sei denn, er bekam etwas dafür, und dieses etwas war meist etwas zu essen.
Ein
starschina
, ein blauer Unteroffizier namens Degermenkoi, der vor Gebhardts Hütte postiert war, sah mich und kam gemächlich auf mich zu.
«Wieso arbeitest du nicht?», schrie er und fing an, mir mit seinem Gehstock fest auf die Schultern zu schlagen.
Zwischen den Schlägen versuchte ich, ihm von meiner Mission zu erzählen, und irgendwann hörte er auf und ließ mich vom Boden aufstehen.
Ich bedankte mich, betrat die kleine Hütte und zog die Tür hinter mir zu für den Fall, dass ich irgendwas fand, das ich klauen konnte. Das Erste, was ich sah, war ein Stück Seife und ein Kanten Brot. Nicht das
schorni
, das wir Gefangenen bekamen, sondern
belii
, Weißbrot, und ehe ich auch nur einen Blick auf Gebhardts Leiche warf, stopfte ich mir die Überreste seiner letzten Mahlzeit schon in den Mund. Das allein wäre schon Lohn genug gewesen, doch dann sah ich ein paar Zigaretten und Streichhölzer, und kaum hatte ich das Brot runtergeschluckt, zündete ich mir gierig eine an und rauchte in einem Zustand purer Verzückung. Ich hatte seit sechs Monaten nicht mehr geraucht. Noch immer ignorierte ich die Leiche und sah mich stattdessen in der Hütte nach etwas Trinkbarem um, bis mein Blick auf eine kleine Wodkaflasche fiel. Und jetzt, als ich meine Zigarette aufrauchte und schlückchenweise aus Gebhardts Flasche trank, begann ich mich wie ein Polizist zu benehmen.
Die Hütte war ungefähr zehn Quadratmeter groß und hatte ein kleines Fenster mit einem Eisengitter davor, das den Bewohner vor uns übrigen
plenis
schützen sollte. Es hatte nichts genutzt. An der Holztür war ein Schloss, doch der Schlüssel fehlte. Es gab einen Tisch, einen Ofen und einen Stuhl, und da ich mich ein wenig schwach fühlte – wahrscheinlich von der Zigarette und dem Wodka –, setzte ich mich. Zwei Propagandaplakate zierten die Wand: billige, ungerahmte Porträts von Lenin und Stalin. Ich sammelte ordentlich Spucke in meinem Mund und ließ den großen Retter des Vaterlands spüren, was ich von ihm hielt.
Dann rückte ich den Stuhl näher ans Bett und sah mir die Leiche an. Dass Gebhardt tot war, war nicht zu übersehen, denn sein ganzer Körper war mit Stichwunden übersät, die Mehrzahl davon in Kopf, Hals und Brust. Die Mordwaffe zu finden, war keine Meisterleistung: ein Stück Hirschgeweih ragte aus der
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