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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Stärksten von uns, als hätte Fürst Kropotkin die Herrschaft über unseren erschöpften Haufen übernommen.
    Endlich erreichten wir das Lager, das aus einer Ansammlung baufälliger Holzhäuser bestand, umgeben von zwei Reihen Stacheldraht. Das einzig Bemerkenswerte war, dass sich neben dem Haupttor ein Turm erhob, der wohl mal zu einer Kirche gehört hatte, nun aber einsam in den Himmel ragte und in seiner spitzen, mit Metall gedeckten russischen Bauweise aussah wie die Pickelhaube eines alten Junkers. Sonst gab es meilenweit nichts – von den Hütten, die vielleicht früher zur Kirche gehört hatten, war nichts mehr zu sehen, ebenso wenig wie von der Kirche selbst.
    Als wir durch das Tor trotteten, folgten uns stumm die hohlen Augen etlicher hundert Männer, die von der ungarischen dritten Armee übrig geblieben waren. Diese Männer hatten sich auf der anderen Seite eines Zauns versammelt, und anscheinend sollten wir von ihnen getrennt gehalten werden, zumindest, bis wir auf Ungeziefer und Krankheiten untersucht worden waren. Dann bekamen wir zu essen, und da ich für arbeitstauglich erklärt worden war, schickte man mich in die Sägemühle. Ich war zwar Offizier, aber keinem wurde die Arbeit erlassen, das heißt keinem, der etwas essen wollte, und so verbrachte ich mehrere Wochen damit, Holz auf- und abzuladen. Die Arbeit war hart, so dachte ich jedenfalls, bis ich einen ganzen Tag lang Kalk schaufeln musste. Als ich danach wieder in die Sägemühle geschickt wurde, halb blind, weil ich Kalk in die Augen bekommen hatte, und mit starkem Nasenbluten, war ich heilfroh, denn das Schlimmste, was mich dort erwartete, waren ein paar Splitter in den Händen und Rückenschmerzen. In der Sägemühle freundete ich mich mit einem jungen Leutnant namens Metelmann an. Eigentlich war er noch ein halbes Kind, so wirkte er zumindest. Körperlich war er einigermaßen robust, aber im Lager musste auch der Geist stark sein, und Metelmanns Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Ich kannte solche Typen aus den Schützengräben – Männer, die morgens aufwachten und fest damit rechneten, getötet zu werden, wo doch die einzige Möglichkeit, unsere beschissene Lage zu ertragen, darin bestand, jeden Gedanken an den Tod zu verdrängen. Die Fürsorge für einen anderen Menschen soll ja lebendig halten, daher beschloss ich, so gut es ging auf Metelmann aufzupassen.
    Ein Monat verstrich. Und dann noch einer. Endlose Monate vergingen mit Arbeit und Essen und Schlaf und ohne Erinnerung, denn es war besser, nicht an die Vergangenheit zu denken; von der Zukunft ganz zu schweigen, die war im Lager ein blinder Fleck. Es gab nur die Gegenwart und das Leben als
woina pleni
. Und das Leben des
woina pleni
bestand aus
bistra
und
dawai
und
nitschewo
; es bestand aus
kascha
und
klopkis
und
kate
. Jenseits des Zauns war die Todeszone, und dahinter kam ein weiterer Zaun, und dahinter kam Steppe und noch mehr Steppe. Keiner dachte an Flucht. Man konnte nirgends hin, das war die eigentliche kommunistische
prawda
des Lebens in Woronesch. Es war, als wären wir in der Vorhölle und warteten darauf zu sterben, um dann in die richtige Hölle geschickt zu werden. [1]
    Doch stattdessen wurden wir – die deutschen Offiziere von Lager Elf – in ein anderes Lager geschickt. Keiner wusste, warum. Keiner nannte uns einen Grund. Gründe waren was für Menschen. Es ging ohne jede Vorankündigung los, an einem frühen Augustabend gleich nach der Arbeit. Anstatt auf dem Weg zurück zum Lager befanden wir uns plötzlich auf einem langen Marsch ins Ungewisse. Erst als wir nach mehreren Stunden die Eisenbahnschienen sahen, begriffen wir, dass wir weitertransportiert wurden und Lager Elf wahrscheinlich nie wiedersehen würden. Da keiner von uns irgendwelche Habseligkeiten zurückließ, war uns das eigentlich egal.
    «Meinst du, es geht nach Hause?», fragte Metelmann, als wir in den Zug stiegen und losfuhren.
    Ich warf einen Blick auf die untergehende Sonne. «Wir fahren nach Südosten», erwiderte ich. Mehr musste ich nicht sagen.
    «Mein Gott», sagte er. «Wir werden unser Zuhause nie wiedersehen.»
    Wenn man durch die Ritzen unseres Viehwaggons auf die endlose russische Steppe schaute, fühlte man sich von der gigantischen Weite des Landes erschlagen. Manchmal sah alles so gleich aus, dass es schien, als würde sich der Zug nicht von der Stelle bewegen, und nur das Loch im Boden, das uns als Latrine diente und den Blick auf die vorbeirauschenden Eisenbahnbohlen freigab,

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