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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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sollten ihn zudecken?»
    «Nein. Wenn ich ihn sehe, komme ich vielleicht eher drauf, wie es passiert sein könnte.»
    «Und ist Ihnen schon was eingefallen? Wer ihn ermordet haben könnte, meine ich.»
    «Im Augenblick ziehe ich die Möglichkeit in Erwägung, dass es ein Hirsch war, der einen Rochus auf ihn hatte.» Ich zeigte ihm die Mordwaffe. «Sehen Sie, wie spitz das Ding ist?»
    Behutsam berührte Mrugowski das blutige Ende mit dem Zeigefinger. «Spitz wie ein Dolch, was?»
    Ich nickte. «Ich schätze, es hat hier als Dekoration gehangen. An der Wand gegenüber dem Fenster sind ein paar Nägel und ein Abdruck, die so aussehen, als hätte das Geweihstück zu einer kleinen Trophäensammlung gehört. Aber sicher bin ich mir da nicht, weil ich nie hier drin war.»
    «Und wo ist dann der Rest der Sammlung?»
    «Vielleicht hat der Täter gemerkt, was für prima Waffen die Dinger abgeben, und hat die anderen mitgehen lassen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es hier in dieser Hütte zu einem Streit kam. Der Täter schnappt sich ein Geweih, zieht Gebhardt damit eins über den Schädel und stellt dann fest, dass er nur noch ein Stück davon in der Hand hält. Praktischerweise ein sehr spitzes Stück. Es gibt ein paar kleinere Löcher in Gebhardts Kopf, die das nahelegen. Gebhardt fällt rittlings aufs Bett. Der Täter stürzt sich mit dem Geweihstück auf ihn. Bringt ihn um. Danach geht er raus, setzt sich in die U-Bahn und fährt nach Hause. Aber wer es war und warum, da bin ich genauso schlau wie Sie. In Berlin würde ich den Streifenpolizisten sagen, sie sollten auf einen Mann mit Blutflecken an der Kleidung achten, aber damit fällt er hier natürlich nicht auf. Die Männer haben an ihren Uniformen noch immer das Blut von Königsberg kleben, das Blut ihrer Kameraden. Und ich vermute, das weiß der Mörder auch.»
    «Mehr haben Sie nicht rausgefunden?»
    «Hören Sie, wenn wir in Berlin wären, würde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Zeugen vernehmen, Verdächtige. Mit ein paar Spitzeln reden. In meiner Branche geht nichts über Spitzel. Die sind die Fliegen an der Wand, und das ist Polizeiarbeit, die sich fast immer bezahlt macht.»
    «Dann sprechen Sie doch mit Emil Kittel. Dem anderen Antifa-Agenten. Es liegt doch wohl in seinem Interesse, Sie bei Ihren Ermittlungen zu unterstützen, oder? Schließlich könnte er das nächste Opfer sein.»
    «Das wäre eine Idee. Aber nicht, dass mich irgendwer im Lager mit Kittel sprechen sieht und glaubt, ich hätte wie er vor, zum Iwan überzulaufen.»
    «Ich sorge dafür, dass die Leute Bescheid wissen.»
    «Aber vielleicht ist es doch keine so gute Idee. Kittel zählt nämlich zu meinen Verdächtigen. Er ist Linkshänder. Und obwohl ich noch nicht viel über den Mörder sagen kann, eines steht so gut wie fest: Er ist Linkshänder.»
    «Wie kommen Sie darauf?»
    «Schauen Sie sich die Stichwunden an. Die sind überwiegend auf der rechten Körperhälfte. Weniger als zehn Prozent der Menschen sind Linkshänder. In diesem Lager sind etwas über tausend Männer, also hab ich rund hundert Verdächtige. Und einer von ihnen ist Kittel.»
    «Verstehe.»
    «Wie soll ich in weniger als zweiundsiebzig Stunden neunundneunzig von ihnen als Täter ausschließen, wenn mir dazu nur ein Kriterium zur Verfügung steht, nämlich dass sie das Opfer ein Quäntchen weniger gehasst haben als der wahre Mörder? Damit allein hätte ich schon mehr als genug zu tun, wären da nicht auch noch eine Schubkarre und zig Tonnen Sand, die am Kanal auf mich warten. Das ist so, als sollte ich mit Fausthandschuhen ein Klavierkonzert spielen.»
    «Ich rede mit Major Sawostin. Mal sehen, ob Sie von der Arbeit befreit werden können, bis die Sache aufgeklärt ist.»
    «Tun Sie das, Herr Oberst. Appellieren Sie an seine Fairness. Die bewahrt er wahrscheinlich im Keller auf, in den er auch zum Lachen hinuntergeht. Und wenn ich so darüber nachdenke, stört mich noch was an dieser sogenannten Ermittlung. Ich möchte nicht, dass die Russen noch mehr über mich erfahren, als sie ohnehin schon wissen. Vor allem die NKWD ler.»
    Der Oberst lächelte.
    «Hab ich irgendwas Lustiges gesagt, Herr Oberst?»
    «Vor dem Krieg war ich Arzt», sagte er.
    «Wie Ihr Bruder.»
    Er nickte. «In einer Nervenheilanstalt. Da haben wir viele Leute wegen etwas behandelt, das sich Paranoia nennt.»
    «Ich weiß, was Paranoia ist, Herr Oberst.»
    «Warum sind Sie so paranoid, Gunther?»
    «Wahrscheinlich, weil es mir schwerfällt,

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