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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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verriet uns, dass der Zug in Bewegung war.
    «Wie ist dieser verdammte Hitler auf die verrückte Idee gekommen, je ein dermaßen großes Land besiegen zu können?», sagte jemand. «Da kannst du genauso gut versuchen, die Milchstraße zu erobern.»
    Einmal sahen wir in der Ferne einen anderen Zug, der Richtung Westen fuhr, in die Gegenrichtung, und es gab niemanden, der sich nicht wünschte, wir säßen darin. Alles im Westen schien besser als das, was uns im Osten erwartete.
    Ein anderer sagte: «‹Nenne mir, Muse, den Mann, den vielgewandten, der vielfach wurde verschlagen, seit Trojas heilige Burg er zerstörte. Vieler Menschen Siedlungen sah er und lernte ihr Wesen kennen, und litt auf dem Meer viel Schmerzen in seinem Gemüte, um sein Leben bemüht und die Heimkehr seiner Gefährten.›»
    Er schwieg einen Moment und sagte dann für alle, die in den Klassikern nicht bewandert waren: «Homer.
Die Odyssee

    Woraufhin irgendwer sagte: «Bleibt bloß zu hoffen, dass Penelope zu Hause die Knie zusammenhält.»
    Die Reise dauerte zwei volle Tage und Nächte, bis der Zug schließlich am Ufer eines breiten, stahlgrauen Flusses haltmachte. Der Altphilologe, der Sajer hieß, schaute sich um und bekreuzigte sich.
    «Was ist denn?», fragte Metelmann. «Was ist los?»
    «Ich weiß, wo wir sind; ich erkenne es wieder», sagte Sajer. «Ich habe Gott mal dafür gedankt, es nie wiedersehen zu müssen.»
    «Gott hat Sinn für Humor», sagte ich.
    «Also, wo sind wir hier?», wollte Metelmann wissen.
    «Das ist die Wolga», sagte Sajer. «Und wenn ich mich nicht irre, befinden wir uns südlich von Stalingrad.»
    Stalingrad
. Stilles Grauen erfasste uns, als wir den Namen im Geiste wiederholten.
    «Ich war einer der Letzten, die noch rausgekommen sind, ehe die Sechste Armee eingekesselt wurde», erklärte Sajer. «Und jetzt bin ich wieder hier. Was für ein verdammter Albtraum.»
    Vom Zug aus marschierten wir zu einem größeren Lager, in dem überwiegend SS -Männer saßen, wenn auch nicht ausschließlich Deutsche: Es waren Franzosen, Belgier und Holländer darunter. Aber der höchstrangige Offizier war ein deutscher Oberst der Wehrmacht namens Mrugowski, der uns in einer Baracke mit richtigen Stockbetten und Matratzen begrüßte und uns erklärte, dass wir uns in Krasno-Armeisk befanden, zwischen Astrachan und Stalingrad.
    «Wo kommt ihr her?», fragte er.
    «Aus dem Lager Usman, bei Woronesch», sagte ich.
    «Ach ja», sagte er. «Das mit dem Kirchturm.»
    Ich nickte.
    «Hier ist es besser», sagte er. «Die Arbeit ist hart, aber der Iwan ist einigermaßen anständig. Im Vergleich zu Usman, meine ich. Wo seid ihr in Gefangenschaft geraten?»
    Wir tauschten Neuigkeiten aus, und wie alle anderen Deutschen in K.-A. hatte auch der Oberst jemanden, über den er etwas zu erfahren hoffte. Bei ihm war es sein Bruder, der Arzt bei der Waffen- SS war, aber niemand konnte ihm etwas sagen.
    Es war Hochsommer, und da es in der Steppe wenig oder gar keinen Schatten gab, war die Arbeit – wir gruben einen Kanal zwischen Don und Wolga – äußerst anstrengend. Aber zumindest eine Zeitlang war es einigermaßen erträglich. Hier arbeiteten auch Russen –
saklutshonnis
[2] , verurteilt wegen politischer Vergehen, die in den meisten Fällen gar keine Vergehen waren oder jedenfalls keine, die ein Deutscher – nicht mal die Gestapo – als solche betrachtet hätte. Im Umgang mit diesen Gefangenen verbesserte sich mein Russisch erheblich.
    Auf der Baustelle ging es so geschäftig zu wie auf dem Potsdamer Platz. Von morgens bis abends beackerten Hunderte von
plenis
mit Spitzhacken die Steppe, schwangen Schaufeln und schoben primitive Schubkarren hin und her. Über einen gewaltigen Graben führten Laufbretter und wackelige Holzbrücken. Bewacht wurden wir von starrgesichtigen Blauen, so nannten wir die NKWD -Wachen mit ihren
gimnasterka
-Jacken,
portupeja
-Koppeln und blauen Schulterstücken. Die Arbeit war nicht ungefährlich. Es kam immer wieder vor, dass die Seitenwände des Kanals einbrachen und einen Arbeiter unter sich begruben, und dann schaufelten wir alle verzweifelt, um ihn zu retten. Das kam beinahe jede Woche vor, und dabei stellten wir Deutschen fest, dass die Russen keineswegs unwerte Menschen waren, wie die Nazis uns weisgemacht hatten, denn meistens eilten gerade die russischen Häftlinge am schnellsten zu Hilfe. Einer von ihnen war Iwan Jefremowitsch Pospelow, der in K.-A. für mich fast so etwas wie ein Freund wurde und

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