Mission Walhalla
längst halb tot fühlte. Daher war ich ein wenig enttäuscht, die beiden Offiziere nicht anzutreffen, so wie man enttäuscht ist, wenn man sich eine ziemlich gute Rede über die schönen Dinge des Lebens zurechtgelegt hat und dann merkt, dass sie keine Bedeutung mehr haben, weil man im Leichenschauhaus liegt.
Es befand sich nur ein Offizier im Raum, ein massiger Mann mit Geheimratsecken im braunen Haar und einem Boxerkinn. Er trug eine blaue Reithose und eine braune
gimnasterka
-Uniformjacke, wie seine Vorgänger, war aber höher dekoriert. Neben dem Veteranenabzeichen vom NKWD und dem Rotbannerorden prangten noch andere Auszeichnungen, die mir aber nichts sagten. Die Abzeichen am Kragen und die Sterne an den Ärmeln ließen vermuten, dass er mindestens Oberst war oder vielleicht General. Seine blaue Offiziersmütze mit dem eckigen Schirm lag neben einem Nagant-Revolver in seinem eimergroßen Halfter auf dem Tisch.
«Die Antwort ist immer noch nein», sagte ich, ohne groß darüber nachzudenken, wer der Mann war.
«Setzen Sie sich», sagte er. «Und seien Sie kein verdammter Narr.»
Er war Deutscher.
«Ich weiß, ich hab ein bisschen zugenommen», sagte er. «Aber ich hätte gedacht, wenn mich jemand wiedererkennt, dann Sie.»
Ich setzte mich und wischte mir den Staub aus den Augen. «Jetzt, wo Sie das sagen, kommen Sie mir wirklich bekannt vor.»
«Sie dagegen hätte ich niemals wiedererkannt. Nicht in einer Million Jahre.»
«Ich weiß. Ich sollte nicht so viel Schokolade essen. Mal zum Friseur und zur Maniküre gehen. Aber irgendwie finde ich einfach nicht die Zeit dazu. Die Arbeit frisst mich auf.»
Das Schlächtergesicht des Offiziers verzog sich zu einem Lächeln. «Sinn für Humor. Das ist beeindruckend an so einem Ort. Aber wenn Sie mir wirklich imponieren wollen, dann hören Sie auf, den harten Hund zu spielen, und sagen mir, wer ich bin.»
«Wissen Sie das nicht?»
Er schnalzte ungehalten mit der Zunge und schüttelte den Kopf. «Also bitte. Ich kann Ihnen helfen, wenn Sie mich lassen. Aber ich muss überzeugt sein, dass Sie es auch wert sind. Als Polizist sollten Sie wissen, wer ich bin.»
«Erich Mielke», sagte ich. «Sie sind Erich Mielke.»
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Kapitel 25 DEUTSCHLAND 1946
«Sie haben mich wiedererkannt.»
«Ich war einen Moment lang unsicher. Als ich Sie das letzte Mal gesehen hab, sahen Sie aus wie ich jetzt.»
Mielke machte eine Grimasse bei der Erinnerung. «Scheißfranzosen», sagte er. «Die waren nicht besser als die Nazis, wenn Sie mich fragen. Es wurmt mich noch immer, dass sie in Berlin zur vierten Siegermacht erklärt wurden. Was haben die denn großartig dazu beigetragen, dass die Faschisten besiegt wurden? Nichts.»
«Dann sind wir uns ja doch mal in was einig.»
«In Le Vernet haben Sie mir das zweite Mal aus der Patsche geholfen. Warum?»
Ich zuckte die Achseln. «Ich hielt es für eine gute Idee.»
«Nein, das reicht mir nicht», sagte er bestimmt. «Sagen Sie’s mir. Ich will es wissen. Sie waren gekleidet wie ein Gestapo-Offizier. Aber Sie haben sich nicht wie einer verhalten. Ich hab das damals nicht kapiert, und ich kapier es bis heute nicht.»
«Mal ganz unter uns Pastorentöchtern, Erich, ich fürchte, die Gestapo war ein ziemlich mieser Haufen.» Ich erzählte ihm von den Morden, die SS -Sturmbannführer Bömelburg und seine Leute auf der Fahrt nach Lourdes begangen hatten. «Sehen Sie, es ist eine Sache, einen Mann zurückzubringen und vor Gericht zu stellen, aber eine völlig andere, ihn in einem Straßengraben abzuknallen. Sie hatten einfach Glück, dass wir zuerst nach Gurs gefahren sind, sonst wären vielleicht Sie beim Fluchtversuch erschossen worden. Aber nach allem, was ich seitdem von Ihren Freunden im NKWD gesehen habe, hätten Sie es vermutlich verdient. Ratten sind nun mal Ratten, egal, ob sie grau, schwarz oder braun sind. Ich selbst bin bloß nicht so richtig fürs Rattendasein geschaffen.»
«Vielleicht eine weiße Ratte, was?»
«Vielleicht.»
Mielke schob mir eine Packung Belomorkanal über den Tisch zu. «Da. Die hab ich für Sie mitgebracht.» Er warf eine Schachtel Streichhölzer hinterher. «Ich bin Nichtraucher. Ich finde, Rauchen schadet der Gesundheit.»
«Das ist für meine Gesundheit zurzeit die geringste Sorge.» Ich zündete mir eine an und inhalierte glücklich. «Außerdem sind russische Kippen nicht so schädlich wie amerikanische.»
«Ach ja? Wieso das?»
«Weil so wenig Tabak drin ist. Vier kräftige
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