Mission Walhalla
für Speers Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, in der Organisation Todt. Ein Sklavenarbeiter der Nazis, wie Tausende andere. Ich selbst war Holzfäller in den Ardennen, lieferte Brennstoff für die deutsche Armee. Dort wurde ich zu dem Mann, der heute vor Ihnen steht. Das hier sind Holzfällerschultern. Jedenfalls, ich blieb im sogenannten freiwilligen Arbeitsdienst, schuftete zwölf Stunden am Tag, bis Kriegsende. Dann bin ich zurück nach Berlin, wo ich schnurstracks in die inzwischen wieder legalisierte KPD -Zentrale am Potsdamer Platz marschierte und der Partei meine Dienste anbot. Ich hatte ungeheures Glück. Jemand hatte mir geraten zu lügen, wenn ich gefragt wurde, was ich während des Krieges gemacht hatte. Es sei nicht clever, denen zu sagen, dass ich Gefangener gewesen war, erst recht nicht im Arbeitsdienst der Faschisten.»
Mielke setzte eine übertrieben verwunderte Miene auf und schüttelte dann den Kopf.
«Tja, das wollte mir überhaupt nicht einleuchten. Schließlich war es ja wohl nicht meine Schuld, dass ich für die Nazis arbeiten musste. Aber die Partei würde das nicht so sehen, wurde mir gesagt. Und entgegen dem, was mir mein Instinkt sagte, nämlich an Genosse Stalin und die Partei zu glauben, beschloss ich, diesem einen Mann zu vertrauen. Sein Name war Viktor Dietrich. Und so erzählte ich ihnen, ich hätte mich in Spanien versteckt gehalten und dann bei den französischen Partisanen gekämpft. Und das war auch gut so. Denn wenn Dietrich nicht gewesen wäre, hätte ich meine Ehrlichkeit mit dem Tode bezahlt. Wissen Sie, damals im August 1941 hatte Genosse Stalin als Volkskommissar für Verteidigung einen berüchtigten Befehl erlassen – Befehl Nummer zweihundertsiebzig –, der im Prinzip besagte, dass es keine sowjetischen Kriegsgefangenen gebe, nur Verräter. Von fast zwei Millionen Männern und Frauen, die aus deutscher und französischer Gefangenschaft in die Sowjetunion und die von ihr kontrollierten Zonen zurückgekehrt sind – viele davon treue Parteimitglieder –, wurde ein sehr hoher Prozentsatz exekutiert oder für zehn bis zwanzig Jahre in ein Arbeitslager gesteckt. Einer davon war mein eigener Bruder. Das ist der Grund, warum ich den Glauben verloren habe, Gunther. Weil ich weiß, dass meine Vergangenheit mich jederzeit einholen kann, und dann lande ich vielleicht da, wo Sie jetzt sind.
Aber ich will eine Zukunft haben. Etwas Handfestes. Ist das so ungewöhnlich? Ich bin mit einer Frau zusammen. Sie heißt Gertrud. Sie kommt aus Berlin. Jedenfalls möchte ich ein gemeinsames Leben mit ihr. Keine Ahnung, warum ich Ihnen das alles erzähle. Aber warum ich Ihnen helfen will, liegt doch auf der Hand. Sie haben mir das Leben gerettet. Zweimal. Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich das vergäße?»
Ich schwieg einen Moment. Dann verfinsterte sich sein Gesicht vor Ungeduld.
«Wollen Sie nun meine Hilfe oder nicht, verdammt nochmal?»
«Wie soll das ablaufen?», fragte ich. «Das muss ich wissen. Wenn ich mein Leben in Ihre Hände lege, würde ich gern sicher sein, dass Sie saubere Fingernägel haben, dafür sollten Sie Verständnis haben.»
«So spricht ein echter Berliner. Und durchaus nachvollziehbar. Also dann. Die zentrale Antifa-Schule ist in Krasnogorsk. Jeden Monat schicken wir mit dem Flugzeug von Berlin aus eine Reihe Nazis zur Umerziehung dorthin. Inzwischen sind schon eine ganze Menge dort. Nationalkomitee Freies Deutschland nennen die sich. Feldmarschall Paulus gehört auch dazu. Haben Sie das gewusst?»
«Paulus, ein Kollaborateur?»
«Schon seit Stalingrad. Ebenfalls dabei ist von Seydlitz-Kurzbach. Bestimmt erinnern Sie sich noch an seine Propagandaansprachen im Rundfunk, aus Königsberg. Ja, da drüben ist eine richtige kleine Deutschenkolonie entstanden. Sozusagen eine neue Nazi-Heimat. Wenn Sie in Berlin erst das Flugzeug nach Krasnogorsk bestiegen haben, gibt es kein Zurück. Aber im Zug zwischen hier und Berlin – oder noch besser zwischen hier und Zwickau –, da könnten Sie entkommen. Überlegen Sie doch mal. Von diesem Lager bis zur amerikanischen Besatzungszone sind es keine sechzig Kilometer. Wenn meine Freundin Gertrud nicht in Ostberlin wäre, käme ich vielleicht selbst in Versuchung. Also, mein Vorschlag ist folgender: Ich informiere Major Weltz, dass ich Sie überzeugen konnte, Ihre Meinung zu ändern, und dass Sie zu einer Umerziehung in der Antifa-Schule bereit sind. Er spricht mit dem Lagerkommandanten, der Sie aus dem
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