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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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verhalten und die Augen zu verschließen oder Leuten in den Hintern zu kriechen. Die Nazis wussten das. Die waren schlauer als Sie. Der einzige Grund, warum Heydrich mich zurück zur Kripo geholt hat, war der, dass es selbst in einem Polizeistaat Situationen gibt, in denen man einen richtigen Polizisten braucht. Aber Sie wollen keinen Polizisten, Major Weltz, Sie wollen einen Bürokraten mit Dienstmarke. Sie wollen, dass ich vor dem Schlafengehen Karl Marx lese und tagsüber die Post anderer Leute. Sie wollen einen Mann, der katzbuckelt und in der KP vorankommen will.» Ich schüttelte müde den Kopf. «Als ich das letzte Mal bei jemandem vorankommen wollte, hat mir eine schöne Frau eine Ohrfeige verpasst.»
    «Wie bedauerlich», sagte Weltz. «Sieht ganz so aus, als würden Sie den Rest Ihres Lebens als Toter verbringen, Gunther. Wie Ihre ganze Klasse sind Sie ein Opfer der Geschichte.»
    «Das sind wir beide, Major. Als Deutsche kommen wir nicht drum rum, Opfer der Geschichte zu sein.»
     
    Aber ich war ebenso ein Opfer meiner Lebensumstände. Dafür sorgten sie schon. Kurz nach meinem Treffen mit den Jungs vom K5 wurde ich vom Sortiereinsatz weggeholt und runter in den Schacht geschickt.
    In dieser Welt donnerte es unaufhörlich. Da war das Grollen der unterirdischen Sprengungen, mit denen das Gestein in handliche Brocken zerkleinert wurde. Da war das Krachen der Türen, ehe der Fahrstuhlkäfig in den Schacht einfuhr. Da war das Getöse, das von den Felsen widerhallte, die wir mit Spitzhacken bearbeiteten. Und das unentwegte Rattern der Wagen auf den Gleisen. Jede Explosion hüllte den Schacht in Staub und noch mehr Staub, der meine Spucke schwarz färbte und meinen Schweiß in graues Öl verwandelte. Nachts hustete ich bröckelige Klumpen aus Speichel und Schleim aus, die aussahen wie verbranntes Rührei. Ich zahlte also einen hohen Preis für meine Prinzipien. Aber im Schacht herrschte ein Kameradschaftsgeist wie sonst nirgendwo in Johanngeorgenstadt, und unsere Arbeit brachte uns bei den anderen
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, die uns husten hörten, unwillkürlich Respekt ein, weil sie erkannten, wie gut sie es vergleichsweise getroffen hatten. Damit hatte Pospelow recht gehabt. Es gibt immer jemanden, dem es noch schlechter geht als einem selbst. Ich hoffte, dass ich noch Gelegenheit haben würde, diesen Jemand zu treffen, ehe die Arbeit mich umbrachte. Im Waschraum hing ein Spiegel. Meistens mieden wir ihn, aus Angst, darin unsere eigenen Großväter zu erblicken oder, noch schlimmer, das Antlitz einer Leiche. Aber eines Tages schaute ich doch unabsichtlich hinein und sah einen Mann mit einem Gesicht wie die Pechblendesteine, die wir förderten: bräunlich-schwarz, klumpig und missgestaltet, mit zwei trüben Höhlen, wo meine Augen gewesen waren, und einer Reihe von dunkelgrauen Auswüchsen, die wohl meine Zähne gewesen waren. Ich war in meinem Leben vielen kriminellen Typen begegnet, aber ich sah aus wie Mister Hydes missratener Bruder. Und verhielt mich auch so. Im Schacht waren keine Blauen, und wir regelten unsere Meinungsverschiedenheiten mit ungezügelter Gewalt. Einmal erzählte mir Schäfer, der ebenfalls aus Berlin stammte und Bullen nicht leiden konnte, dass er gejubelt hatte, als die führenden Köpfe der SPD 1933 aus Berlin gejagt worden waren. Prompt schlug ich ihm mit der Faust ins Gesicht, und als er versuchte, mich mit der Spitzhacke zu erwischen, briet ich ihm eins mit einer Schaufel über. Es dauerte lange, bis er wieder aufstand, und eigentlich war er danach nie wieder der Alte – ein weiteres Opfer der Geschichte. Karl Marx hätte mir sicherlich zugestimmt.
    Aber nach einer Weile begann ich, das Interesse an allem zu verlieren, mich selbst eingeschlossen. Ich quetschte mich in enge Lücken im schwarzen Gestein, um allein mit meiner Spitzhacke zu arbeiten, was besonders gefährlich war, weil regelmäßig Wände einstürzten. Aber dort bekam man weniger Staub ab, wenn Sprengungen gemacht wurden.
    Ein weiterer Monat verging. Und dann wurde ich eines Tages wieder in das Büro bestellt, und als ich hinging, rechnete ich damit, von denselben beiden NKWD -Offizieren gefragt zu werden, ob die Zeit im Grubenschacht meine Meinung über das K5 geändert hatte. Sie hatte meine Meinung über vieles geändert, aber nicht über den deutschen Kommunismus und seine Geheimpolizei. Ich wollte ihnen sagen, sie sollten zur Hölle fahren, und ich war fest entschlossen, unnachgiebig zu klingen, obwohl ich mich in Wahrheit

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