Mission Walhalla
Züge, und die Dinger sind aufgeraucht.»
Mielke schmunzelte. «Apropos Gesundheit, ich glaube, der Ort hier ist nicht gut für Sie. Über kurz oder lang könnte Ihnen ein zweiter Kopf wachsen. Das wäre bedauerlich, wie ich finde.» Er kam um den Tisch herum und setzte sich auf die Kante, ließ lässig einen von seinen gewienerten Reitstiefeln baumeln. «Wissen Sie, als ich in Russland war, hab ich gelernt, auf meine Gesundheit zu achten. Ich hab sogar die Sportmedaille der Sowjetunion gewonnen. Ich wohnte in Krasnogorsk, einer kleinen Stadt bei Moskau, und am Wochenende bin ich auf die Jagd gegangen, auf einem Gutsgelände, das mal der Adelsfamilie Jussupow gehörte. Fürst Jussupow war einer der Aristokraten, die Rasputin ermordet haben. Über den Tod von Rasputin wurde übrigens allerhand Unsinn verzapft. Dass sie ihn drei- oder viermal umbringen mussten, bis er endlich tot war; dass sie ihn vergiftet, erschossen, totgeschlagen, schließlich ertränkt haben. In Wahrheit haben sie das alles nur erfunden, damit ihre sinnlose Tat heroischer wirkte. Und der Fürst hat es nicht mal selbst getan. In Wirklichkeit wurde Rasputin durch einen Schuss in die Stirn vom britischen Geheimdienst ermordet. Ich will damit nur deutlich machen, dass ein Mann, selbst ein starker Mann wie Rasputin, oder wie Sie, alles überleben kann – außer getötet zu werden. Sie, mein Freund, werden hier sterben. Sie wissen das. Ich weiß es. Entweder das Uran vergiftet Sie, oder Sie werden bei einem Fluchtversuch erschossen. Oder Sie ertrinken, wenn die Mine voll Wasser läuft, das passiert ja anscheinend öfter. Aber so weit muss es nicht kommen. Ich möchte Ihnen helfen, Gunther. Ehrlich. Aber Sie müssen mir vertrauen.»
«Ich bin ganz Ohr, Erich.»
«Wir wissen beide, dass Sie im Fünften Kommissariat nicht gerade einen Vorzeigebeamten abgeben würden. Deshalb müssten Sie als Erstes die Antifaschistenschule in Krasnogorsk besuchen. Zwecks Umerziehung. Um sich bekehren zu lassen. Wenn ich so an unsere Begegnung in Berlin denke und nach allem, was ich über Sie gelesen habe, glaube ich, dass es Zeitverschwendung wäre, aus Ihnen einen Kommunisten machen zu wollen. Dennoch wäre das Ihre beste Chance, hier rauszukommen. Sich freiwillig zum K5 und zur Umerziehung zu melden.»
«Stimmt, ich bin in letzter Zeit kaum noch zum Lesen gekommen, aber …»
«Das wäre natürlich nur ein Deckmantel, um Ihre Flucht zu verschleiern.»
«Natürlich. Und der Deckmantel ist bestimmt kugelsicher, sodass ich keinesfalls erschossen werden könnte.»
«Wir könnten beide erschossen werden, wenn Sie es genau wissen wollen. Ich riskiere Kopf und Kragen für Sie, Gunther. Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen. In den letzten zehn oder zwölf Jahren bin ich notgedrungen zum Experten geworden, wenn’s darum geht, die eigene Haut zu retten. Ich schätze, das haben wir beide gemeinsam. Jedenfalls mache ich so etwas nicht leichtfertig.»
«Warum machen Sie es dann überhaupt? Wieso gehen Sie das Risiko ein? Ich kapier das genauso wenig, wie Sie es damals kapiert haben.»
«Glauben Sie, dass Sie der Einzige sind, der nicht fürs Rattendasein geschaffen ist? Glauben Sie, dass ein Gestapo-Offizier der einzige Mensch ist, der ein Gewissen entwickeln kann?»
«Ich habe nie an die Sache geglaubt. Aber Sie – Sie waren Feuer und Flamme, Erich.»
«Stimmt. Das war ich. Bedingungslos. Deshalb ist es ja auch ein Schock, wenn man feststellt, dass es nicht immer auf Parteitreue ankommt und manchmal ein Federstrich genügt, um einem alles wieder wegzunehmen.»
«Warum sollte Ihnen das passieren, Erich?»
«Wir haben alle unsere kleinen Geheimnisse, deshalb.»
«Nein, das reicht mir nicht», sagte ich und wiederholte damit seine eigenen Worte. «Sagen Sie’s mir. Ich will es wissen. Vielleicht vertraue ich Ihnen dann.»
Mielke stand auf und ging nachdenklich hin und her, die Arme verschränkt. Nach einer Weile nickte er und sagte: «Haben Sie sich je gefragt, was nach Le Vernet aus mir geworden ist?»
«Ja. Heydrich habe ich erzählt, Sie wären zur Fremdenlegion gegangen. Allerdings habe ich keine Ahnung, ob er mir geglaubt hat.»
«Ich war noch
drei
Jahre in Le Vernet interniert, nachdem Sie 1940 da aufgetaucht sind. Können Sie sich das vorstellen? Drei Jahre in der Hölle. Na, vielleicht können Sie das inzwischen, ja, ich schätze schon. Ich hab mich als Lette ausgegeben und mich Richard Hebel genannt. Dann, im Dezember 1943, wurde ich Zwangsarbeiter
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