Mission Walhalla
Und ihr haltet euch auch besser von der Bar fern. Sonst merkt er, dass jemand hinter ihm her ist.»
«Hier», sagte Frei. «Nehmen Sie solange meinen Hut.»
Ich probierte ihn auf. Der Hut war zu groß, daher gab ich ihn ihm zurück. «Behalten Sie ihn», sagte ich. «Ich stelle mich in einen Hauseingang auf der anderen Straßenseite und beobachte von da das Restaurant.»
Scheuer wischte eine Stelle an der beschlagenen Fensterscheibe frei. «Und wir beobachten Sie von hier.»
Hamer blickte auf meinen halbvollen Teller. «Ihr Deutschen esst sowieso zu viel», bemerkte er.
Ich überging das und sagte: «Ich folge ihm. Nicht ihr. Wenn ihr denkt, ich hätte ihn verloren, keine Panik. Bleibt weiter auf Abstand. Und versucht nicht, ihn für mich wiederzufinden. Ich weiß, was ich tue. Vergesst das nicht. Ich hab mit so was mal meine Brötchen verdient. Falls er in ein anderes Gebäude geht, wartet draußen, folgt mir nicht hinein. Er könnte Freunde haben, die aus dem Fenster schauen.»
«Viel Glück», sagte Scheuer.
«Uns allen viel Glück», sagte ich und leerte mein Weinglas. Dann ging ich nach draußen.
Zum ersten Mal seit einer ganzen Weile ging ich mit federnden Schritten. Es ließ sich alles prima an. Der Regen machte mir nicht das Geringste aus, er fühlte sich gut auf meinem Gesicht an. Erfrischend. Ich bezog Posten im kalten Eingang des rußgeschwärzten Hauses gegenüber. Passend für einen Polizisten. Ich lehnte mich gegen die Seitenwand und pustete in meine Hände, da ich keine Handschuhe trug. Früher, vor langer Zeit, hatte ich auf der Fasanenstraße gewohnt, keine fünfzig oder sechzig Meter von der Stelle entfernt, an der ich jetzt stand. In dem langen heißen Sommer 1938, als ganz Europa einen kollektiven Seufzer der Erleichterung ausstieß, weil die Kriegsgefahr gebannt worden war. Dachten wir zumindest. Als Henry Ford den Ausspruch tat, Geschichte wäre mehr oder weniger Geschwätz, sagte er auch, die meisten von uns würden lieber in der Gegenwart leben, ohne an die Vergangenheit zu denken. So was in der Art. Aber in Berlin konnte man der Vergangenheit nicht so leicht entgehen.
Ein Mann kam aus dem Hauseingang, in dem ich stand, und bat mich um eine Zigarette. Ich gab ihm eine, und wir wechselten ein paar Worte, wobei ich mit einem Auge weiter die beiden Türen gegenüber beobachtete. Neben dem Restaurant am Steinbach lag nämlich das Hotel am Steinbach. Beide Etablissements hatten dieselben Inhaber und zur Verwirrung aller Amerikaner sogar dieselbe Telefonnummer. Aber verwirrte Amerikaner konnten mir nur recht sein.
Der Regen hörte auf, die Sonne kam heraus und wenige Minuten später auch mein Jagdwild. Der alte Mann blieb stehen, blickte in den aufklarenden Himmel und zündete sich eine Pfeife an, was mir Gelegenheit bot, ihn mir noch einmal gut anzuschauen.
Er trug einen alten Lodenmantel und einen Hut mit einer Gänsefeder im seidenen Band. Die Nägel in seinen Schuhsohlen hörte ich bis auf die andere Straßenseite. Er war beleibt, hatte schütteres Haar und trug jetzt eine andere Brille. Zweifellos hatte er starke Ähnlichkeit mit Erich Mielke. Er war auch ungefähr so groß. Er überprüfte seinen Hosenschlitz, als wäre er kurz vorher auf der Toilette gewesen, und marschierte Richtung Kantstraße. Ich folgte in einem angemessenen Abstand, eine Hand um den Kopf meines kleinen Springers geschlossen.
Ich fühlte mich frei, jetzt, da ich allein ging. Na ja, fast allein. Als ich mich umblickte, sah ich sie beide – Frei und Hamer – etwa dreißig Meter hinter mir, jeder auf einer Straßenseite. Von Scheuer war nichts zu sehen, und ich vermutete, dass er den Wagen holte, damit sie nicht zu Fuß gehen mussten, wenn wir unserem Mann bis zu seiner Höhle gefolgt waren. Amerikaner gingen genauso ungern zu Fuß, wie sie eine Mahlzeit verpassten. Seit ich angefangen hatte, mehr Zeit mit ihnen zu verbringen, war mir aufgefallen, dass der Durchschnittsamerikaner – vorausgesetzt, diese Männer waren Durchschnittsamerikaner – doppelt so viel isst wie der Durchschnittsdeutsche. Immer.
An der Ecke Kantstraße bog der Mann nach rechts in Richtung Savignyplatz. Dann, kurz vor der S-Bahn, fuhr ein Zug im Bahnhof über ihm ein, und er fiel in Trab. Ich tat es ihm gleich und schaffte es nur ganz knapp, mir eine Fahrkarte zu kaufen und in den Zug zu steigen, ehe sich die Türen schlossen und wir auch schon gen Alt-Moabit losfuhren. Hamer und Frei hatten weniger Glück: Als der Zug den Bahnhof
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