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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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haben.»
    «Stolz auf Ihre Arbeit, was? Das kenn ich.»
    «Deshalb nehmen wir alles, was Sie uns erzählen, genauestens unter die Lupe. Durchkämmen es nach Nissen.»
    «Selbst wenn Sie welche fänden, bedeutet das immer noch nicht, dass ich eine Laus bin.»
    «Sie waren in der SS », sagte Silverman. «Ich bin Jude. Für mich werden Sie immer eine Laus sein, Gunther.»

[zur Inhaltsübersicht]
Kapitel 9 DEUTSCHLAND 1954
    In Landsberg vergaß man fast, dass man sich in Deutschland befand. In der Haupthalle hing eine US -Fahne, und in der Küche, in der anscheinend immer Hektik herrschte, wurde einfache Hausmannskost zubereitet, wie sie in Amerika wohl täglich auf den Tisch kam. Außerdem hörten wir den ganzen Tag lang Englisch: laute Männerstimmen, die einem befahlen, dies zu tun oder das zu lassen. Und wir gehorchten ohne Widerrede, weil wir uns sonst einen Stoß mit dem Schlagstock einfingen oder einen Tritt in den Hintern. Niemand beschwerte sich. Es hätte auch niemand ein offenes Ohr gehabt, außer vielleicht Pfarrer Morgenschweis. Die Wachen waren alle MP s, also von der Militärpolizei, und vermutlich gezielt wegen ihrer beeindruckenden Statur ausgewählt worden. Kaum vorstellbar, dass Deutschland je geglaubt hatte, einen Krieg gegen diese Männer gewinnen zu können, die doch eindeutig mehr nach Herrenrasse aussahen als wir selbst. Sie stiefelten über die Gefängnisflure und Korridore wie Revolverhelden aus einem Western oder wie Boxer, die bereit waren, in den Ring zu steigen.
    Unter sich waren sie locker und freundlich: Sie lächelten einander mit blitzenden Zähnen zu, lachten dröhnend, riefen sich Scherze und Baseballergebnisse zu. Uns Insassen gegenüber verhielten sie sich dagegen aggressiv und begegneten uns mit versteinerten Mienen, die zu sagen schienen: Ihr Scheißkerle, auch wenn ihr jetzt eine eigene Bundesregierung habt, haben immer noch wir das Sagen in diesem Schurkenstaat.
    Ich hatte eine Doppelzelle für mich allein. Nicht, weil ich etwas Besonderes war oder weil noch keine Anklage gegen mich erhoben worden war, sondern weil das WCP No. 1 halb leer stand. Mir kam es vor, als würde jede Woche irgendwer entlassen. Aber gleich nach dem Krieg war Landsberg voll belegt gewesen. Die Amis hatten dort neben hochrangigen Nazis und Kriegsverbrechern auch heimatlose Juden aus den Konzentrationslagern im nahegelegenen Kaufering untergebracht. Dass diese abgerissenen, ausgehungerten Juden hier abgelegte SS -Uniformen auftragen mussten, offenbarte einen derart eklatanten Mangel an Sensibilität seitens der Amerikaner, dass es schon fast wieder komisch war. Wenn die Amis nicht unfähig wären, überhaupt irgendwas komisch zu finden.
    Die jüdischen Heimatlosen hatten Landsberg inzwischen längst Richtung Israel, Großbritannien und Amerika verlassen. Der Galgen, an dem einige Kriegsverbrecher ihr Leben gelassen hatten, stand jedoch noch, und von Zeit zu Zeit testeten die Wachen, ob alles noch reibungslos funktionierte. Ja, sie waren sehr umsichtig. Keiner glaubte ernsthaft daran, dass die deutsche Bundesregierung die Todesstrafe wieder einführen würde, aber andererseits glaubte auch keiner ernsthaft daran, dass die Amis sich auch nur ansatzweise dafür interessierten, was die Bundesregierung vorhatte. Auf jeden Fall war ihnen schnurzegal, dass sie den Gefangenen damit Angst einjagten, wenn sie, um den Galgen zu testen, gleich den ganzen grauenhaften Ablauf einer Hinrichtung probten, wobei ein freiwilliger Insasse den Todeskandidaten mimte. Diese monatlichen Proben fanden freitags statt, weil der Freitag in Landsberg seit jeher Hinrichtungstag war. Ein Trupp von acht MP s eskortierte den Verurteilten feierlich in den Haupthof und dann die Treppe hinauf zu der Plattform, wo der Galgen stand. Dort stülpten sie dem Mann einen Sack über den Kopf und legten ihm eine Schlinge um den Hals. Der Gefängnisdirektor verlas sogar ein Todesurteil, während die übrigen Amis strammstanden und so taten, als wäre alles echt – was sie sich vermutlich auch wünschten. Jedenfalls erzählte man es mir so. Die Frage drängt sich auf, warum sich jemand, noch dazu ein deutscher Offizier, dazu bereit erklärte, bei einem derartigen Schmierentheater mitzuwirken. Aber wie überall in Deutschland setzten die Amis auch hier durch, was sie wollten, indem sie dem Freiwilligen eine Extraration Zigaretten, Schokolade und Schnaps in Aussicht stellten. Und es war immer derselbe Gefangene, der gewillt war, sich hängen zu

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