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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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ausgedrückt, Hauptsturmführer Gunther, es wäre wünschenswert, wenn Sie sich in Ihren Aussagen gegenüber den Amis auf sich selbst beschränken würden.»
    «Jetzt verstehe ich», sagte ich. «Und ich dachte schon, dass Sie ernsthaft um mein Wohlergehen besorgt sind.»
    «Aber das sind wir, Kamerad», sagte Haensch. «Das sind wir.»
    «Sie haben gute Karten beim Ausschuss für die Begnadigung von Kriegsverbrechern», sagte ich. «Und Sie wollen verhindern, dass jemand wie ich Ihnen die Partie vermasselt.»
    «Selbstverständlich möchten wir hier raus», sagte Haensch. «Einige von uns haben Familie.»
    «Aber es geht hier nicht nur um unseren Wunsch nach einer baldigen Entlassung», sagte Biberstein. «Erst wenn der letzte Kriegsgefangene hier und in Russland auf freien Fuß gesetzt wurde, können wir anfangen, Deutschlands Zukunft zu planen. Es liegt im Interesse Deutschlands, dass wir einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen und nach vorne schauen.»
    «Nicht nur im Interesse Deutschlands», fügte Haensch hinzu. «Es ist auch für die Amerikaner und die Briten von Vorteil, gute Beziehungen zu einer souveränen deutschen Regierung zu pflegen, damit der wahre ideologische Feind erfolgreich bekämpft werden kann.»
    «Meinen Sie nicht, wir haben schon genug Russen getötet?», fragte ich. «Stalin ist tot. Der Koreakrieg vorbei.»
    «Wir reden doch nicht davon, irgendwen zu töten», beteuerte Biberstein. «Aber wir befinden uns noch immer im Krieg mit den Kommunisten, ob Ihnen das nun passt oder nicht. Ein Kalter Krieg, zugegeben, aber dennoch ein Krieg. Schauen Sie, ich weiß nicht, was Sie während des Krieges gemacht haben, und ich will es auch gar nicht wissen. Keiner will das. Innerhalb dieser Mauern spricht man nicht darüber, was damals passiert ist. Entscheidend ist, dass jeder hier im Gefängnis eines verinnerlicht: Keiner von uns kann für seine Taten oder die Taten seiner Untergebenen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, weil wir alle nur Befehle ausgeführt haben. Ungeachtet unserer persönlichen Gefühle oder Bedenken hinsichtlich der grässlichen Aufgaben, mit denen wir betraut wurden, handelte es sich um Führerbefehle, und es war unmöglich, sich ihnen zu widersetzen. Solange wir geschlossen dabei bleiben, können wir alle mit Sicherheit noch vor Ende dieses Jahrzehnts hier raus sein.»
    «Hoffentlich sogar ein ganzes Stück früher», ergänzte Haensch.
    Ich nickte, was irreführend war, weil es so wirkte, als würde es mich interessieren, was aus ihnen und den anderen wurde. Aber ich nickte lediglich, weil ich keinen Ärger wollte, und obwohl sie Häftlinge waren, waren sie durchaus in der Lage, mir Ärger zu machen. Auf die Hilfe der Amis hätte ich in diesem Fall nicht zählen können. Anders als der Begnadigungsausschuss waren die meisten MP s in Landsberg der Meinung, dass wir alle den Galgen verdient hatten. Und wahrscheinlich hatten sie recht damit. Aber vor allem nickte ich, weil ich es satthatte, von niemandem gemocht zu werden, nicht mal von mir selbst. Das hätte ich vielleicht einigermaßen verkraftet, wenn ich meine Einsamkeit in Alkohol hätte ertränken können, aber Gefängniskneipen haben immer geschlossen, selbst dann, wenn man dringend einen Drink braucht, so wie ich jetzt. Das Leben in den meisten Gefängnissen wäre um einiges erträglicher, wenn es täglich eine Ration Hochprozentiges gäbe wie in der britischen Royal Navy. Wahrscheinlich hätte Jeremy Bentham Bedenken gegen diese Art des Strafvollzugs, aber sie würde viele Anhänger finden, garantiert.
    Besonders abends hätte ich einen Schlummertrunk gebrauchen können. Vielleicht lag es daran, dass ich über den Sommer 1941 reden und ihn noch einmal durchleben musste, jedenfalls fand ich in Landsberg kaum Schlaf und kam nicht zur Ruhe. Oft schreckte ich in dem diffusen Dämmerlicht meiner Zelle schweißnass aus schaurigen Träumen hoch. Meist war es der immer gleiche Traum: Erde bewegte sich seltsam unter meinen Füßen und wurde aufgeworfen, nicht durch irgendein Tier, das unsichtbar darunter lauerte, sondern durch eine finstere unterirdische Urgewalt. Und wenn ich dann genauer hinschaute, sah ich aus dem schwarzen Grund den hohläugigen Kopf und die spinnengleichen Hände eines Ermordeten auftauchen, eines Lazarus, der von seinen eigenen Leichengasen an die nebelverhangene Oberfläche gehoben wurde. Dünn und weiß wie eine Tonpfeife hob die nackte Kreatur ihr Gesäß an, die Brust und zuletzt

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