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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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lassen: Waldemar Klingelhöfer. Eigentlich war es riskant, ausgerechnet ihn dafür einzuspannen, schließlich hatte er ja bereits versucht, sich mit einer großen Sicherheitsnadel die Pulsader zu öffnen; andererseits: wozu nach einer ganzen Herde suchen, wenn man ein Schaf sicher hat.
    Nicht Schuldgefühle wegen des Mordes an den Juden hatten Klingelhöfer veranlasst, den Selbstmordversuch zu unternehmen und sich für die Probeexekutionen zur Verfügung zu stellen; auf seinem Gewissen lastete vielmehr die Schuld, Erich Naumann verraten zu haben, einen anderen SS -Offizier. Naumann hatte Klingelhöfer per Brief angewiesen, was er bei seiner Vernehmung sagen sollte, und er hatte ihn daran erinnert, dass es keine Berichte über die Aktivitäten von Einsatzgruppe B gab, deren Kommando er von Nebe übernommen hatte. Dieser Rat offenbarte jedoch auch den wahren Umfang von Naumanns eigenen Verbrechen in Minsk und Smolensk. Klingelhöfer, der angesichts des Zusammenbruchs des Deutschen Reiches innerlich zerrissen war, übergab den Brief den Amis, die ihn beim Einsatzgruppenprozess vorlegten und als Prima-facie-Beweis gegen Naumann verwendeten. Der Brief trug dazu bei, dass er verurteilt und im Juni 1951 gehenkt wurde.
    Das alles hatte zur Folge, dass keiner der anderen Gefangenen mit Klingelhöfer sprach. Bis auf mich. Und wahrscheinlich hätte auch mit mir niemand gesprochen, wäre ich nicht zufällig der Einzige gewesen, der gerade von den Amerikanern vernommen wurde. Das machte meine ehemaligen Kameraden extrem nervös, und eines Tages folgten mir zwei von ihnen aus dem Gemeinschaftsraum, in dem wir aßen, Karten spielten und Radio hörten, hinaus in den Hof.
    «Hauptsturmführer Gunther. Hätten Sie mal zwei Minuten?»
    Ernst Biberstein und Walter Haensch waren beide SS -Offiziere, und da sie sich nicht als Verbrecher sahen, sondern als Kriegsgefangene, sprachen sie andere stets mit ihrem Rang an. Beide waren Obersturmbannführer, allerdings war Biberstein der Wortführer, während Haensch sich damit begnügte, ihm beizupflichten.
    «Ist schon ewig her, dass die Amis mich vernommen haben», sagte Biberstein. «Bestimmt fast sieben Jahre. Da hat sich sicherlich allerhand geändert. Unsere Lebensumstände sind ja heute hoffnungsvoller, sogar vorurteilsfreier als damals.»
    «Die Amerikaner scheinen nicht mehr ganz so stark von ihrem Überlegenheitsgefühl und dem Wunsch nach Vergeltung getrieben zu sein», erläuterte Haensch überflüssigerweise.
    «Dennoch», sprach Biberstein weiter, «sollte man unbedingt vorsichtig sein mit dem, was man ihnen erzählt. Während einer Vernehmung wirken sie mitunter recht freundlich und können fälschlicherweise den Eindruck erwecken, sie meinten es gut mit einem. Ich weiß nicht, ob Sie unseren leider Gottes verstorbenen Kameraden Otto Ohlendorf persönlich gekannt haben. Der hat den Amis jedenfalls lange Zeit gute Dienste geleistet und sie vorbehaltlos mit Informationen versorgt, in dem irrigen Glauben, er könne sich bei ihnen einschmeicheln und so vielleicht seine Freilassung bewirken. Er hat seinen Fehler zu spät erkannt, und erst nachdem er in Nürnberg gegen General Kaltenbrunner ausgesagt und dessen Todesurteil dadurch praktisch besiegelt hatte, wurde ihm klar, dass er sich selbst damit um Kopf und Kragen geredet hatte.»
    Biberstein blickte immer nachdenklich drein, er hatte eine breite Stirn und einen skeptischen Zug um den Mund. Irgendwie wirkte er wie ein trauriger Clown – ein bleichgesichtiger Stichwortgeber, der sich als Autoritätsfigur aufspielte. Seine Art, bei Diphthongen anklagend die Stimme zu erheben und endlose Vorträge zu halten, anstatt sich auf einen Dialog einzulassen, erinnerte mich daran, dass er, ehe er zur SS und zum SD ging, ein evangelischer Geistlicher in irgendeinem norddeutschen Kaff gewesen war, dessen Bewohner anscheinend nichts dagegen hatten, dass ihr Pastor ein überzeugter Nazi war. Wahrscheinlich hatten sie auch nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass er in Russland ein Mordkommando geführt hatte, ehe er befördert wurde und die Leitung der Gestapo in Südpolen übernahm. Viele Protestanten hatten in Hitler Luthers rechtmäßigen Nachfolger gesehen. Vielleicht war er das ja. Ich glaubte, dass ich Luther genauso wenig hätte leiden können, wie ich Hitler leiden konnte. Oder Biberstein.
    «Es wäre doch wirklich dumm, wenn Sie denselben Fehler machten wie Otto», sagte Biberstein. «Daher möchte ich Ihnen einen freundschaftlichen Rat

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