Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
erzählte, dass die SS gleich am ersten Tag den jüdischen Bürgermeister, oder vielleicht war es auch ein Richter, aufhängte. Kurz darauf ermordeten sie in einem Schwung vierhundert Leute, einfach so. Sie trieben sie aus der Stadt hinaus in eine Grube, zwangen sie, sich wie Sardinen übereinanderzustapeln, und erschossen sie dann schichtweise. Schulz dachte, damit wäre die Sache erledigt. Er hatte sein Soll erfüllt. Vierhundert werden ja wohl reichen, dachte er. Aber nein, sagte er, es ging immer weiter. Tag für Tag. Und aus vierhundert Juden wurden bald vierzehntausend.
    Dann bekam Schulz die Anweisung, auch die Frauen und Kinder hinzurichten, und das war für ihn der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Scheiße, dachte er, selbst wenn der Befehl vom allmächtigen Gott persönlich käme, ich kann keine Frauen und Kinder umbringen. Also schrieb er an den Chef des Amtes I im RSHA , der für das Personal der Einsatzgruppen zuständig war. An SS -Brigadeführer Bruno Streckenbach. Und bat um Versetzung. So kam es, dass er im selben Flugzeug saß wie ich.
    Anscheinend hatte er sich damit ziemlich unbeliebt gemacht. Vor allem bei seinem Kommandeur, Otto Rasch. Der warf Schulz vor, ein Weichei und Drückeberger zu sein. Er fragte Schulz, ob er denn kein Pflichtgefühl habe, der übliche Mist eben. Schulz hatte nichts anderes von ihm erwartet. Er sagte, Rasch wäre einer von diesen Dreckskerlen, der immer dafür sorgte, dass alle, auch die Offiziere, bei mindestens einem Juden selbst abdrückten. Damit sie alle gleich schuldig waren, vermute ich. Er hatte einen speziellen Ausdruck dafür, denselben, den Himmler immer in Pretzsch verwendete. Blutschuld nannte er das, glaube ich.
    Jedenfalls, Schulz wusste nicht, welches Schicksal ihn in Berlin erwartete. Er war nervös und ängstlich, gelinde gesagt. Ich glaube, er hoffte, man würde über sein Verhalten hinwegsehen und ihn wieder bei der Polizei in Hamburg oder Berlin einsetzen. Ich bin nicht gemacht für so was, sagte er, versteh mich nicht falsch, ich hab für Juden nichts übrig, aber so eine Arbeit sollte niemand erledigen müssen. Niemand. Sie sollten sich irgendeine andere Methode dafür überlegen, erklärte er mir.»
    «Das heißt also», sagte Earp, «dass Ihnen ein verurteilter Kriegsverbrecher Ihr Alibi liefert?»
    «Schulz ist verurteilt worden? Das wusste ich gar nicht.»
    «Er hat sich 1945 gestellt», sagte Earp. «Im April 1948 wurde er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zwanzig Jahren verurteilt. Die Strafe wurde dann 1951 auf fünfzehn Jahre herabgesetzt.»
    «Soll das heißen, er ist hier in Landsberg? Dann kann er Ihnen ja unsere Unterhaltung auf dem Rückflug nach Berlin bestätigen. Dass ich ihm gesagt habe, was ich Ihnen auch erzählt habe: Ich wurde zurückgeschickt, weil ich mich geweigert hatte, Juden zu ermorden.»
    «Er wurde im Januar begnadigt», sagte Earp. «Pech für Sie, Gunther.»
    «Ich glaube ohnehin nicht, dass er Ihnen ein guter Leumundszeuge gewesen wäre», warf Silverman ein. «Zu dem Zeitpunkt, als er sich stellte, hatte er es bis zum SS -Brigadeführer gebracht.»
    «Es liegt auf der Hand, warum Bruno Streckenbach so nachsichtig mit Schulz umging», sagte Earp. «Weil der nämlich an der Ermordung von rund fünfzehntausend Juden beteiligt war, ehe er des Tötens überdrüssig wurde. Bei dieser stolzen Zahl fand Streckenbach wahrscheinlich, dass Schulz seine Schuldigkeit getan hatte.»
    «War das auch der Grund, warum ihr ihn freigelassen habt?», fragte ich.
    «Ich habe Ihnen doch schon erklärt, dass das nicht wir entscheiden, sondern der Hochkommissar», sagte Silverman. «Und der Beratende Ausschuss für die Begnadigung von Kriegsverbrechern.»
    Ich stützte den Kopf in die Hände. Ich war müde. Sie hatten mich den ganzen Tag traktiert wie zwei hauptberufliche Wadenbeißer. Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt.
    «Ist Ihnen schon mal die Möglichkeit in den Sinn gekommen, ich könnte die Wahrheit sagen? Und selbst wenn nicht, vielleicht sollte ich einfach irgendwas gestehen, damit Sie beide mich endlich in Ruhe lassen. So wie ihr hier mit Begnadigungen um euch schmeißt, müsste ich schon Tojo Hideki heißen, um mehr als sechs Monate zu bekommen.»
    «Uns geht es darum, offene Fragen zu klären», sagte Silverman.
    «Und Ihre Geschichte hat mehr Löcher als ein Schweizer Käse», fügte Earp hinzu.
    «Wenn wir diese Arbeit abschließen, wollen wir sichergehen, dass wir unser Bestes gegeben

Weitere Kostenlose Bücher