Mission Walhalla
Höchstwahrscheinlich kannte er Wildmann und Schmidt aus denselben Gründen, wie ich sie kannte. Und ich wage zu behaupten, dass er auch genauestens über dieses Haus in der Tiergartenstraße Bescheid wusste. Ich dagegen nicht.»
«Sprechen wir über Ihre Beziehung zu Waldemar Klingelhöfer», sagte Silverman. «Sie waren ihm gegenüber sehr hilfsbereit. Sie sagen, Sie haben ihm Ratschläge gegeben.»
«Ja. Ich hab’s versucht.»
«Haben Sie ihm auch auf andere Art geholfen?»
Ich schüttelte den Kopf.
«Haben Sie ihn beispielsweise mal nach Moskau begleitet?»
«Nein, ich war noch nie in Moskau.»
«Aber Sie sprechen fast ebenso gut Russisch wie er.»
«Das hab ich später gelernt. Hauptsächlich im Arbeitslager.»
«Sie behaupten also, dass Sie zwischen dem 21. September und dem 26. Oktober 1941 nichts mit Klingelhöfers ‹Vorkommando Moskau› zu schaffen hatten, sondern sich in Berlin aufhielten?»
«Ja.»
«Und dass Sie auch nichts mit der Ermordung von fünfhundertzweiundsiebzig Juden zu tun hatten, die während dieser Zeit erfolgte.»
«Nein, damit hatte ich nichts zu tun.»
«Unter den Ermordeten waren etliche jüdische Nerzzüchter, die nicht das vorgeschriebene Soll an Pelzen für Klingelhöfer geliefert hatten.»
«Schon mal einen jüdischen Nerzzüchter erschossen, Gunther?»
«Oder einen in einem Bunker in die Luft gesprengt?»
«Nein.»
Die beiden Anwälte schwiegen einen Moment, als wären ihnen die Fragen ausgegangen. Die Stille währte nicht lange.
«Also schön», sagte Silverman. «Sie sind nicht in Moskau, Sie sitzen im Flugzeug zurück nach Berlin. Eine Junkers 52, sagten Sie. Irgendwelche Zeugen?»
Ich überlegte kurz. «Ein gewisser Schulz war mit an Bord. Erwin Schulz.»
«Erzählen Sie uns von ihm.»
«Auch ein SS -Mann. Sturmbannführer. Aber davor war er Polizist in Berlin gewesen, glaube ich. Und dann Lehrer an der Polizeischule in Bremen. Danach irgendwas in der Gestapo, vielleicht auch in Bremen. Ich weiß es nicht mehr genau. Aber wir hatten uns seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen, als wir in Baranawitschy das Flugzeug bestiegen.
Er war ein paar Jahre jünger als ich, glaube ich, aber nicht viel. Er war in den letzten Monaten des Ersten Weltkriegs in der Armee gewesen. Und dann im Freikorps, während seines Studiums in Berlin, Jura, soweit ich mich erinnere. Recht groß, blond, mit einem Schnurrbart, der ein bisschen so aussah wie der von Hitler, und ziemlich braun gebrannt. Was nicht heißen soll, dass er gut aussah, als wir uns im Flugzeug begegneten. Im Gegenteil. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, fast wie Blutergüsse, als hätte ihm jemand eins auf die Mütze gegeben.
Jedenfalls erkannten wir uns gleich wieder und kamen ins Gespräch. Ich bot ihm eine Zigarette an, und als er sie nahm, fiel mir auf, dass seine Hand zitterte wie Espenlaub. Und er konnte ein Bein nicht ruhig halten. Als hätte er die Schüttelkrankheit. Er war ein Nervenwrack. Es stellte sich heraus, dass er aus denselben Gründen wie ich nach Berlin zurückkehrte. Weil er um Versetzung gebeten hatte.
Schulz erzählte, dass seine Einheit an einem Ort namens Schitomir operiert hatte. Das ist irgend so ein Nest zwischen Kiew und Brest. Kein Mensch, der noch alle Tassen im Schrank hat, käme auf die Idee, nach Schitomir zu wollen. Was vermutlich der Grund dafür ist, dass die SS -Führung in Gestalt von Obergruppenführer Jeckeln das ukrainische Oberkommando dort eingerichtet hatte. Jeckeln hat nämlich noch nie alle Tassen im Schrank gehabt, wenn Sie mich fragen. Jedenfalls sagte Schulz, Jeckeln hätte ihn angewiesen, sämtliche Juden in Schitomir sofort zu erschießen. Die Männer machten Schulz nichts aus. Aber bei den Frauen und Kindern hatte er so seine Skrupel. Das ist doch Scheiße, sagte er. Aber niemand interessierte sich für seine Meinung. Befehl war Befehl, und er sollte gefälligst die Klappe halten und tun, was zu tun war. Tja, anscheinend gab es viele Juden in Schitomir. Weiß der Himmel, wieso. Schließlich haben die Russkis sie ja nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Dem Zaren waren sie auch verhasst, und 1905 und 1919 gab es Pogrome in Schitomir. Ich meine, man sollte doch annehmen, sie hätten es geschnallt und sich irgendwo anders hin verzogen. Aber nein. Keineswegs. Es gibt drei Synagogen in Schitomir, und als die SS auftauchte, fanden sie dreißigtausend Juden vor, die seelenruhig abwarteten, dass was passiert. Und das tat es dann auch.
Schulz
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