Mission Walhalla
erinnert sich Bauer an ihn.»
«Ja, vielleicht.»
Er zögerte erwartungsvoll. «Und der andere Kerl, was ist mit dem?»
Ich erzählte ihm von dem Tag, an dem ich Erich Mielke davor bewahrt hatte, von einem SA -Trupp totgeprügelt zu werden.
«Er war damals der Vierte im Bunde. Und es stimmt, was der Wachtmeister gesagt hat. Er sieht Erich Ziemer sehr ähnlich.»
«Dann sind es also zwei Erichs, nach denen wir suchen?»
Ich nickte erneut.
«Gunther? Ich an Ihrer Stelle würde am Alex ungern im zweifelhaften Ruf stehen, einem Polizistenmörder das Leben gerettet zu haben.»
«Das hab ich noch gar nicht bedacht, Herr Kriminalrat.»
«Das sollten Sie aber. Und ich rate Ihnen, vorerst absolutes Stillschweigen darüber zu bewahren, wie Sie Erich Mielke kennengelernt haben, jedenfalls bis wir ihn festgenommen haben. Vor allem bei der momentanen Lage des Landes. Solche Geschichten wären für die Nazis ein gefundenes Fressen, um die letzten Polizisten auszubooten, die sich noch als Demokraten betrachten, verstehen Sie?»
«Jawohl, Herr Kriminalrat.»
Wir fuhren nach Alt-Hohenschönhausen in die Biesenthaler Straße, wo Erich Ziemer laut Festnahmeprotokoll wohnte. Das Wohnhaus machte einen tristen Eindruck, und es lag ein unverkennbarer Hopfengeruch in der Luft. Die Löwenbrauerei war nur einen Katzensprung entfernt.
Ziemers Vermieter war ein alter Mann, der aus der Wäsche schaute wie das Antlitz auf dem Turiner Grabtuch. Er war nicht gerade begeistert darüber, so früh am Morgen aus dem Schlaf gerissen zu werden, schien aber nicht überrascht, als wir uns nach seinem Untermieter erkundigten, der nicht zu Hause war (und sehr wahrscheinlich auch nicht wieder auftauchen würde). Wir baten trotzdem, uns sein Zimmer anschauen zu dürfen.
Vor dem Fenster stand ein wuchtiges verschlissenes Ledersofa, an der feuchten Wand hing ein Druck mit einer botanischen Illustration Alexander von Humboldts. Der Vermieter, Herr Karpf, kraulte sich ratlos den Bart und erklärte, dass Ziemer, der ihm die Miete für drei Wochen schuldete, am Vortag spurlos verschwunden war. Angeblich hatte er nicht nur seine eigenen Habseligkeiten mitgenommen, sondern auch einen Trinkkrug aus Silber und Elfenbein mitgehen lassen, der etliche hundert Mark wert war. Es war schwer vorstellbar, dass Herr Karpf überhaupt irgendetwas von Wert besaß, doch wir versprachen ihm, unser Bestes zu tun, um den Krug wieder aufzutreiben.
Von einer nahegelegenen Notrufsäule aus riefen wir im Präsidium am Alex an, wo ein Kollege auf der Suche nach dem Festnahmeprotokoll und der Anschrift von Erich Mielke war, bislang vergeblich.
«Das war’s dann wohl», sagte Heller.
«Nein», sagte ich. «Eine Möglichkeit haben wir noch. Fahren Sie nach Süden, zum Elektrizitätswerk in der Voltastraße.»
Heller hatte sich ein flottes cremefarbenes DKW -Cabrio mit einem kleinen Zweizylindermotor und sechshundert Kubik zugelegt, das aber Vorderradantrieb hatte und eine Kurvenlage, als gleite es auf Schienen dahin, sodass wir im Handumdrehen am Ziel waren. In der Brunnenstraße, die die Voltastraße kreuzte, bog er auf meine Anweisung hin nach links in die Lortzingstraße und hielt an.
«Geben Sie mir zehn Minuten», sagte ich, öffnete die kleine Autotür und ging rasch auf ein vornehmes Wohnhaus aus rotem und gelbem Backstein zu, das mit seinen blumengeschmückten Balkonen und einem Mansardendach an einen kleinen marokkanischen Palast erinnerte.
Für Elisabeths unförmige Vermieterin, Frau Bayer, war es nichts Ungewöhnliches, mir zu dieser frühen Stunde zu begegnen, da ich mir angewöhnt hatte, die Näherin zu besuchen, wann immer ich gerade Dienstschluss hatte. Sie wusste, dass ich Polizist war, was meistens dafür sorgte, dass sich ihr Gegrummel angesichts der frühen Störung in Grenzen hielt. Normalerweise hatten die Berliner Hochachtung vor ihren Gesetzeshütern, es sei denn, sie waren Kommunisten oder Nazis. Und wenn Frau Bayer trotzdem mal grummelte, schob ich ihr als Bestechung ein paar Mark in die Tasche ihres Morgenrocks.
Die Wohnung war ein Labyrinth aus schäbigen Zimmern, alten Kirschholzmöbeln, Paravents und fransenbesetzten Lampenschirmen. Wie immer wartete ich im Wohnzimmer auf dem plüschigen Sofa, bis Frau Bayer ihrer Untermieterin meinen Besuch angekündigt hatte, und wie immer lächelte Elisabeth verschlafen, aber glücklich, als sie mich sah, und nahm meine Hand, um mich in ihr Zimmer zu führen, wo mich dann die richtige Begrüßung erwarten
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