Mission Walhalla
hielt Heller für einen guten Polizisten, und allein darauf kam es meiner Meinung nach an. Die Nazis sahen das natürlich anders.
Im Kino lief
Mata Hari
mit Greta Garbo in der Hauptrolle und Ramón Novarro als jungem russischen Offizier, der sich in sie verliebt. Ich selbst hatte den Film noch nicht gesehen, wusste aber, dass er in Berlin ein Kassenschlager war. Die Garbo wird von den verräterischen Franzosen erschossen, und so eine Geschichte musste hier ja gut ankommen. Der Kinoleiter wartete im Foyer. Er war ein dunkler Typ mit sorgenvoller Miene. Sein dünner Schnurrbart sah aus, als habe er sich die Augenbraue eines Zwerges unter die Nase geklebt, und zumindest in dieser Hinsicht ähnelte er Ramón Novarro. Da war es fast verwunderlich, dass die Blonde aus dem Kassenhäuschen nicht wie Greta Garbo aussah, wenigstens nicht wie die Garbo auf dem Filmplakat; ihr Haar stand beängstigend wild vom Kopf ab wie bei Struwwelpeter.
Alles um uns herum war rot. Roter Teppich, rote Wände, rote Decke, rote Stühle und rote Vorhänge vor den Kinosaaltüren. Angesichts der politischen Haltung im Viertel schien mir das angemessen. Die Blondine war in Tränen aufgelöst, der Besitzer wirkte nervös. Er zog unaufhörlich seine Manschettenknöpfe zurecht, während er mit hysterischer Stimme und laut wie ein Theaterschauspieler schilderte, was er gesehen und gehört hatte:
«Mata Hari hatte gerade den russischen General Schubin verführt», sagte er, «als wir die ersten Schüsse hörten. Das muss so gegen zehn nach acht gewesen sein.»
«Wie viele Schüsse?»
«Eine ganze Salve», sagte er. «Sechs oder sieben. Leichte Waffen, Pistolen. Ich war im Krieg, müssen Sie wissen. Ich kenne den Unterschied zwischen einem Pistolenschuss und einem Gewehrschuss. Ich hab einen Blick ins Kassenhäuschen geworfen und sah Fräulein Wiegand auf dem Boden liegen. Zuerst dachte ich, es wäre ein Überfall, dass jemand die Kasse ausgeraubt hätte. Aber dann kam die nächste Salve, und das Fenster vom Kassenhäuschen wurde getroffen. Zwei Männer sind durchs Foyer in den Kinosaal gerannt. Ohne zu bezahlen. Aber da sie Pistolen in den Händen hielten, hab ich nicht darauf bestanden, dass sie Eintrittskarten kaufen. Leider hab ich sie mir nicht so genau angesehen, vor lauter Angst. Dann fielen draußen erneut Schüsse. Gewehrschüsse, glaube ich, und es kamen immerzu Leute reingestürmt, um hier Deckung zu suchen. Inzwischen hatte der Vorführer den Film angehalten und das Licht eingeschaltet. Und die Leute im Kinosaal sind durch den Ausgang zur Hirtenstraße raus. Bei dem Krach und dem Chaos war klar, dass die Vorstellung vorbei war, und als schließlich einer von Ihren Kollegen eintraf und uns aufforderte, das Kino nicht zu verlassen, war fast das gesamte Publikum schon durch den Hinterausgang verschwunden. Auch die beiden Männer mit den Pistolen.» Er ließ seine Manschettenknöpfe einen Moment lang in Ruhe und rieb sich heftig die Stirn. «Die sind tot, nicht. Die beiden Polizisten?»
Ich nickte. «Mmm-hmm.»
«Schlimm ist das. Sehr, sehr schlimm.»
«Wie steht’s mit Ihnen, Fräulein Wiegand?», sagte ich. «Haben Sie mehr von den beiden Bewaffneten sehen können?»
Sie schüttelte den Kopf und drückte sich ein durchnässtes Taschentuch an die gerötete Nase.
«Es war ein großer Schock für Fräulein Wiegand», sagte der Besitzer.
«Es war für uns alle ein großer Schock.»
Ich betrat den Kinosaal und ging den Mittelgang hinunter bis zum Notausgang. Durch die Tür gelangte ich in ein kleines rotes Treppenhaus. Ich stieg nach unten, wo eine weitere Tür sich auf die Hirtenstraße öffnete. Gerade als ich nach draußen trat, donnerte ein U-Bahn-Zug unter meinen Füßen vorbei und brachte die gesamte Gegend zum Beben, als habe die am heutigen Tag nicht schon genug gebebt. Es war dunkel, und im gelben Licht der Gaslaterne war nicht viel zu erkennen: ein paar herrenlose rote Fahnen, zwei Protestplakate. Vielleicht fand sich hier irgendwo eine Mordwaffe, wenn man nur gründlich genug suchte. Bei so vielen Polizisten in der Nähe war es schließlich eher unwahrscheinlich, dass die Täter die Waffen lange bei sich behalten hatten.
Als ich zurück zum Kinoeingang kam, war Heller mit anderen Kollegen dabei, die beiden Leichen zu inspizieren, in der Hoffnung, dass sich uns dadurch der Tathergang erschließen würde.
Hauptmann Anlauf war zweimal in den Hals getroffen worden und offensichtlich verblutet. Er war um die vierzig, beleibt mit
Weitere Kostenlose Bücher