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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Fenster schob.
    «Ja?»
    «Polizei», sagte Heller. «Aufmachen, wir kommen hoch.»
    «Was ist denn los?»
    «Als ob Sie das nicht wüssten», sagte ich. «Aufmachen, sonst treten wir die Tür ein.»
    «Schon gut.»
    Der Kopf verschwand, und als wir das Treppenhaus betraten, hörten wir, wie oben die Tür geöffnet wurde. Wir stürmten die Treppe empor, als glaubten wir ernsthaft, Erich Mielke noch schnappen zu können. In Wahrheit hatten wir beide wenig Hoffnung. Gesundbrunnen war ein Viertel, in dem Kinder wussten, wie man der Polizei Schnippchen schlägt, noch ehe sie das Einmaleins lernten.
    Oben angekommen, ließ uns ein Mann in Hose und Schlafanzugjacke in eine kleine Wohnung, die ein Schrein des Klassenkampfes war. An jeder Wand hingen KPD -Plakate, Aufrufe zu Streiks und Demonstrationen und Porträts von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Marx und Lenin. Im Gegensatz zu diesen sah der Mann, der nun vor uns stand, wenigstens aus wie ein echter Arbeiter. Er war um die fünfzig, stämmig und klein mit Stiernacken, hoher Stirnglatze und Bierbauch. Er starrte uns argwöhnisch aus winzigen, engstehenden Augen an, die in seinem breiten Gesicht aussahen wie diakritische Zeichen in einer großen Null. Fehlten nur noch das Handtuch um den Hals und der seidene Bademantel, um das Bild eines kampflustigen Boxers perfekt zu machen.
    «Und was will die Berliner Polente von mir?»
    «Wir suchen nach einem Herrn namens Erich Mielke», sagte Heller. Seine Förmlichkeit war typisch. Man wurde nicht Kriminalrat der Berliner Polizei, ohne auf Details zu achten, vor allem, wenn man noch dazu Jude war. Vermutlich sprach da der ehemalige Anwalt aus ihm. Diesen Teil von Heller mochte ich nicht besonders, den förmlichen Anwalt. Der stämmige kleine Mann in der Schlafanzugjacke schien ihn auch nicht zu mögen.
    «Der ist nicht da», sagte er und hatte Mühe, ein selbstgefälliges Grinsen zu unterdrücken.
    «Und wer sind Sie?»
    «Sein Vater.»
    «Wann haben Sie Ihren Sohn zuletzt gesehen?»
    «Vor ein paar Tagen. Was soll er denn angestellt haben? Einen Polizisten geohrfeigt?»
    «Nein», sagte Heller. «Diesmal scheint er einen erschossen zu haben. Mindestens einen.»
    «Wie bedauerlich.» Aber der Tonfall des Mannes verriet, dass er das keineswegs bedauerlich fand.
    Mittlerweile war es mir unbegreiflich, dass mir die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn nicht von Anfang an aufgefallen war, sodass ich mich abwandte und in die Küche ging, weil mein Drang, ihn zu schlagen, übermächtig zu werden drohte.
    «Dadrin ist er auch nicht.»
    Ich legte eine Hand auf den Gasbrenner. Er war noch warm. Ein Aschenbecher quoll über vor nur halb gerauchten Zigaretten, als wäre da jemand sehr nervös gewesen. Kein normaler Mensch in Gesundbrunnen würde so verschwenderisch mit Tabak umgehen. Ich stellte mir einen Mann vor, der auf einem Stuhl am Fenster saß. Ein Mann, der vielleicht versucht hatte, sich mit einem Buch abzulenken, während er darauf wartete, dass ein Auto kam, um ihn und Ziemer in ein sicheres Versteck der KPD zu bringen. Ich nahm das Buch zur Hand, das auf dem Küchentisch lag. Es war
Im Westen nichts Neues
.
    «Haben Sie eine Idee, wo sich Ihr Sohn jetzt aufhalten könnte?», fragte Heller.
    «Keine Ahnung. Ehrlich, der könnte überall sein. Der erzählt mir nie, wo er war oder wo er hinwill. Tja, Sie wissen ja, wie die jungen Leute heute sind.»
    Ich ging zurück in das Zimmer und stellte mich hinter ihn. «Sind Sie KPD ler?»
    Er sah über die Schulter und lächelte. «Ist ja wohl nicht verboten. Jedenfalls noch nicht.»
    «Waren Sie selbst vielleicht letzte Nacht auch am Bülowplatz?» Während ich sprach, blätterte ich in dem Buch.
    Er schüttelte den Kopf. «Ich? Nee. Ich war die ganze Nacht hier.»
    «Ganz sicher? Immerhin waren Hunderte von Ihren Genossen da, Ihr Sohn eingeschlossen. Vielleicht waren es sogar tausend. So eine große Sause wollten Sie sich doch bestimmt nicht entgehen lassen.»
    «Nein», sagte er mit Nachdruck. «Ich war zu Hause. Sonntagabends bleibe ich immer zu Hause.»
    «Sind Sie gläubig?», fragte ich. «Sie sehen nicht sehr fromm aus.»
    «Nicht deshalb, sondern weil ich in knapp zwei Stunden –», er deutete mit einem Nicken auf eine kleine hölzerne Uhr auf einem gekachelten Kaminsims, «– zur Arbeit muss.»
    «Gibt es Zeugen dafür, dass Sie die ganze Nacht hier waren?»
    «Die Geislers von nebenan.»
    «Gehört das Buch hier Ihnen?»
    «Ja.»
    «Gut, nicht?»
    «Hätte nicht gedacht,

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