Mission Walhalla
dass es Ihnen gefällt.»
«Ach nein? Warum nicht?»
«Wie ich höre, wollen die Nazis es verbieten.»
«Mag sein. Aber ich bin kein Nazi. Und unser Kriminalrat hier ist auch keiner.»
«Meiner Ansicht nach sind alle Polypen Nazis.»
«Im Augenblick interessiert mich Ihre Ansicht weniger als das Buch hier. Das ist nämlich gar nicht Ihres.» Ich schlug es auf und nahm den Fahrschein für die Ringbahn heraus, der als Lesezeichen diente. «Dieser Fahrschein verrät uns, dass Sie lügen.»
«Was soll das heißen?»
«Er wurde gestern Abend um zwanzig nach acht am Schönhauser Tor gelöst, also rund zwanzig Minuten nach dem Mord an den beiden Polizisten auf dem Bülowplatz, und der liegt keine hundert Meter vom Bahnhof Schönhauser Tor entfernt. Womit der Besitzer des Buches sich mitten im Geschehen befand, bevor er mit diesem Fahrschein bis zur Haltestelle Gesundbrunnen fuhr, nur ein kurzes Stück zu Fuß von hier.»
«Ich sag gar nichts mehr.»
«Herr Mielke», sagte Heller, «Sie stecken schon genug in Schwierigkeiten, auch ohne, dass Sie sich unkooperativ verhalten.»
«Ihr kriegt ihn nicht», sagte Mielke trotzig. «Jetzt nicht mehr. Wie ich meinen Erich kenne, ist er schon auf halbem Weg nach Moskau.»
«Von wegen, auf halbem Weg», sagte ich. «Und wenn Sie Moskau erwähnen, will er vermutlich nach Leningrad. Was wiederum bedeutet, dass er wahrscheinlich ein Schiff nimmt. Demnach ist er bestimmt unterwegs nach Hamburg oder Rostock. Rostock ist näher, also gehe ich davon aus, dass er uns austricksen will und versucht, nach Hamburg zu kommen. Bis dahin sind es rund zweihundertfünfzig Kilometer. Falls sie vor Mitternacht aufgebrochen sind, könnten sie jetzt da sein. Ich schätze, dass Erich sich in diesem Moment auf dem Grasbrook- oder Sandtorkai auf einen russischen Frachter schleicht und damit prahlt, dass er einen faschistischen Polizisten in den Rücken geschossen hat. Wahrscheinlich kriegt der kleine Feigling auch noch den Leninorden für beispielhaften Mut.»
Irgendwas musste in Mielkes Bulldoggenkörper einen Nerv getroffen haben. Eben war seine biersaufende Trollvisage noch völlig entspannt, und im nächsten Moment schob sich sein Unterkiefer wütend nach vorn. Mielke stieß einen leisen Fluch aus und verpasste mir einen Faustschlag. Zum Glück sah ich ihn kommen und war bereits halb zurückgewichen, als er mich traf, aber ich hatte trotzdem das Gefühl, gegen einen Sandsack zu klatschen. Mir wurde übel. Benommen taumelte ich nach hinten und landete auf einem weichen Sessel. Einen Moment lang sah ich die Welt mit ganz neuen Augen, und das hatte nichts mit der Berliner Avantgarde zu tun. Mielke senior grinste jetzt süffisant, wobei der den zahnlückigen Mund grimassenhaft aufriss, während seine Grabenkeule von Faust auf Heller zuschnellte. Wie ein Asteroid krachte sie gegen Hellers Schädel, woraufhin der Kriminalrat mit einem Stöhnen zu Boden ging und reglos liegen blieb.
Ich rappelte mich wieder auf. «Das wird mir jetzt richtig Spaß machen, du blöde Kommunistensau.»
Als Mielke senior sich zu mir umdrehte, wartete meine Faust schon auf ihn und flog ihm ins Gesicht. Der Schlag ließ seinen großen Kopf auf den fleischigen Schultern nach hinten schnellen, als würde er von einem üblen Geruch überrascht, und als er einen Schritt rückwärts machte, traf ihn meine Rechte seitlich am Kopf wie ein Kanonenaufschlag von Jean Borotra. Seine Beine verloren den Boden unter den Füßen, und für den Bruchteil einer Sekunde schien er tatsächlich durch die Luft zu schweben, ehe er hart auf den Knien landete. Als er auf die Seite rollte, drehte ich ihm nacheinander beide Arme auf den Rücken und schaffte es, sie so lange festzuhalten, bis ein noch immer sichtlich mitgenommener Heller ihm Handschellen anlegen konnte. Als ich aufgestanden war, versetzte ich Mielke mit voller Wucht einen Tritt, weil ich seinen Sohn nicht treten konnte und weil ich wünschte, ich hätte dem jungen Mann nicht den Hals gerettet. Vielleicht hätte ich den Senior nochmal getreten, aber Heller hielt mich davon ab, und wenn er nicht Kriminalrat gewesen wäre und mir nicht noch immer ein bisschen schlecht von dem Fausthieb, hätte ich ihn vielleicht auch noch getreten.
«Gunther», rief er. «Das reicht.» Er lehnte sich schwer keuchend gegen eine Wand und versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Ich wackelte mit der Kinnlade. Mein Kopf fühlte sich auf einer Seite größer an als auf der anderen, und ich hatte
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