Mission Walhalla
nach draußen, als sie sagte: «Das hätte ich fast vergessen. Ich wohne jetzt woanders.»
«Kein Wunder, dass ich dich nicht finden konnte.»
«Als ob du das versucht hättest. Motzstraße achtundzwanzig. Erster Stock. Mein Name steht an der Klingel.»
«Kann’s kaum erwarten.»
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Kapitel 16 FRANKREICH 1940
Wenigstens war die Uniform nicht schwarz. Aber als ich an jenem Julimorgen am Anhalter Bahnhof auf den Zug wartete, ließ die Hauptsturmführermontur Unbehagen in mir aufsteigen, als hätte ich einen Blutpakt mit Hitler persönlich geschlossen. Dabei trug nahezu jeder um mich herum Uniform. Wie sich später herausstellte, hatte sich der große Mephistopheles kurzfristig entschlossen, an jenem Tag nicht mit dem Zug in die französische Hauptstadt zu fahren. Die Gestapo hatte spitzgekriegt, dass dort mindestens zwei Mordkomplotte auf Hitler geplant waren, und an Bord unseres Zuges hieß es, dass er dem Kronjuwel seiner Eroberungen schon am 23. Juni per Flugzeug eine Stippvisite abgestattet hatte. Demzufolge war unser Zug zwar recht luxuriös ausgestattet – immerhin waren mehrere verdiente Wehrmachtgeneräle unter den Passagieren –, aber er war eben nichts im Vergleich zu dem Sonderzug, in dem der Führer und sein Stab reisten. Der
Amerika
bot nach allem, was man so hörte, jeden nur erdenklichen Pullmanwagenkomfort. Der Zug mit dem kuriosen Namen – vielleicht ein Wortspiel, das sich auf das
Erika
-Lied von Herms Niel bezog – befand sich derzeit anscheinend zur Wartung im Tempelhofer Depot, im Südwesten Berlins. Da ich seit dem Wiedersehen mit Elisabeth auch am liebsten in Berlin geblieben wäre, konnte ich, obwohl ich natürlich auf Paris gespannt war, für meinen Auftrag keine rechte Begeisterung aufbringen. Viele Sipos hätten gern mit mir getauscht und hätten nichts lieber getan, als gratis in die aufregendste Stadt der Welt zu reisen. Dafür hätten sie unterwegs auch einen kleinen Mord in Kauf genommen. Manche im Zug sahen aus, als hätten sie seit 1933 nichts anderes gemacht, als Menschen umzubringen. So auch der Kerl, der mir gegenübersaß – ein SS -Untersturmführer, den ich flüchtig aus dem Polizeipräsidium am Alex kannte.
Seine kleinen Rattenaugen waren schneller als ich.
«Verzeihung», sagte er höflich. «Aber sind Sie nicht Oberkommissar Gunther von der Mordkommission?»
«Kennen wir uns?»
«Ich glaube, als wir uns das letzte Mal gesehen haben, war ich am Alex bei der Sitte. Willms ist mein Name. Nikolaus Willms.»
Ich nickte wortlos.
«Die Sitte ist natürlich nicht so aufsehenerregend wie die Mordkommission», sagte er. «Aber die Arbeit hat auch ihre spannenden Seiten.»
Er lächelte, ohne zu lächeln – er sah aus wie eine Schlange, die das Maul aufreißt, um etwas mit Haut und Haaren zu verschlingen. Er war kleiner als ich, hatte aber ein ehrgeiziges Funkeln in den Augen, als schrecke er nicht davor zurück, etwas zu verschlingen, das größer ist als er selbst.
«Und was führt Sie nach Paris?», fragte ich bemüht interessiert.
«Na ja, ich fahr nicht erst jetzt dahin», antwortete er. «Ich war die letzten zwei Wochen dort. Ich musste nur kurz in einer Familienangelegenheit nach Berlin.»
«Gibt es denn dort für Sie noch was zu tun?»
«Paris ist eine lasterhafte Stadt.»
«So sagt man.»
«Aber wenn ich Glück habe, bleibe ich nicht mehr lange bei der Sitte.»
«Ach nein?»
Willms schüttelte den Kopf. Er war klein, aber kräftig, und als er fortfuhr, richtete er sich mit verschränkten Armen in seinem Sitz auf. Er sagte: «Nach der SD -Schule in Bernau hat man mich auf einen besonderen Führungskurs nach Berlin-Charlottenburg geschickt. Die Kursleitung hat dann auch für meine Versetzung nach Paris gesorgt. Ich spreche nämlich fließend Französisch. Ich komme gebürtig aus Trier.»
«Daher also der leichte Akzent. Französisch. Ich könnte mir vorstellen, dass Ihnen das bei der Arbeit sehr zugutekommt.»
«Um ehrlich zu sein, ist die Arbeit ziemlich öde. Ich kann mir was Aufregenderes vorstellen als scharenweise französische Huren.»
«In diesem Zug sind rund fünfhundert Soldaten, die wahrscheinlich ganz anderer Meinung sind, Untersturmführer.»
Er lächelte, diesmal ein richtiges Lächeln, mit Zähnen, aber es machte ihn keinesfalls sympathischer.
«Und worauf hoffen Sie stattdessen?»
«Mein Vater ist im Krieg gefallen», erklärte Willms. «Bei Verdun. Durch die Kugel eines französischen Scharfschützen. Ich
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