Mission Walhalla
ich. «Wegen der Verdunkelung.»
«Nein, Hauptsturmführer», entgegnete der Fahrer. «Nachts erwacht die Stadt erst richtig zum Leben. Dann wollen die Leute schnell überallhin.»
«Wohin denn so?», fragte mein Offizierskollege, ein Marineleutnant, der dem Abwehrdienst zugeordnet war. «Zum Beispiel?»
Der Fahrer grinste. «Wir sind hier in Paris. Da haben alle nur ein Ziel. Könnte man jedenfalls meinen, bei den vielen Stabsoffizieren, die ich zu ihren Damen kutschiere. Das einzige Gewerbe, dem es in Paris zurzeit bessergeht als je zuvor, ist das horizontale. Die Prostitution floriert. Und so wild, wie es manche Deutsche hier treiben, könnte man glatt meinen, sie hätten noch nie ein Mädchen gesehen.»
«Großer Gott», murmelte der Leutnant vom Abwehrdienst, der Kurt Boger hieß.
«Demnächst kommt Verstärkung aus Deutschland», sagte der Fahrer. «Deutsche Fräuleins, meine ich. Ich rate Ihnen beiden, sich eine nette kleine Freundin zu suchen, dann kriegen Sie’s kostenlos. Aber wenn Ihnen das zu aufwendig ist: Die besten Bordelle in der Stadt sind das Maison Chabanais, Rue Chabanais zwölf, und das One Two Two in der Rue de Provence.»
«Ich hab gehört, das Fairyland soll einen Besuch wert sein», sagte ich.
«Nein, das ist Unsinn. Bei allem Respekt, Hauptsturmführer. Wer Ihnen das erzählt hat, hat keine Ahnung. Das Fairyland ist ein echt runtergekommener Laden. Da sollten Sie einen Bogen drum machen, wenn Sie sich nichts einfangen wollen. Wenn ich das mal so sagen darf. Das Maison Chabanais hingegen ist nur für Offiziere. Madame Marthe führt ein Eins-a-Haus.»
Boger, der wahrhaftig nichts von einem typischen Seemann an sich hatte, schnalzte missbilligend mit der Zunge und schüttelte den Kopf.
«Aber Sie wohnen ja im Hotel Lutetia.» Der Fahrer wechselte das Thema. «Das ist ein sehr anständiges Hotel. Da kommt so was nicht vor.»
«Ich bin froh, das zu hören», sagte Boger.
«Wir Deutschen haben die besten Hotels in Beschlag genommen», sagte der Fahrer. «Der Generalstab mit den roten Streifen an der Hose und die hohen Tiere von der Partei haben sich im Majestic und im Crillon einquartiert. Aber ich schätze, hier am linken Ufer sind Sie beide besser untergebracht.»
Die Sicherheitsvorkehrungen am Lutetia waren streng. Das Hotel war mit Sandsäcken und Holzsperren abgeriegelt, und zur Bestürzung des Hotelportiers und der Pagen waren vor dem Eingang bewaffnete Wachen postiert worden. In der Sicherheitszone waren ausschließlich deutsche Militärfahrzeuge erlaubt. Der Verkehr hielt sich allerdings in Grenzen, denn ehe die französische Armee die Stadt ihrem Schicksal überließ, hatte sie mehrere Brennstofflager in Brand gesetzt, damit sie nicht in unsere Hände fielen. Aber die Pariser Métro fuhr noch, so viel stand fest. In der Eingangshalle des Lutetia konnte man sie unter den Füßen spüren. Wobei es bei dem Gedränge deutscher Offiziere gar nicht leicht war, die eigenen Füße überhaupt zu sehen. SS , RSHA , Abwehr, Geheime Feldpolizei, sie alle traten sich gegenseitig auf die Zehen, weil niemand da war, der eindeutig entschied, wo die Zuständigkeit des einen Sicherheitsdienstes aufhörte und die des anderen anfing. Es war nicht gerade Babylon, aber es herrschte allgemeine Verwirrung, und Hitler, der Männern die Gottesfurcht ausgetrieben und ihnen den immerwährenden Glauben an seine eigene Macht aufgezwungen hatte, spielte die Rolle des Nimrod.
Das Personal des Lutetia war genauso durcheinander wie wir. Als ich den Deutsch sprechenden Pagen fragte, was das für eine Kuppel war, die ich von meinem Fenster aus sehen konnte, antwortete er, er wüsste es nicht. Dann rief er ein Zimmermädchen ans Fenster und debattierte die Frage eine Weile mit ihr, bis sie schließlich meinten, es sei die Kuppel des Invalidendoms, wo Napoleon bestattet war. Wenig später stellte ich fest, dass es in Wahrheit das Panthéon war, das in entgegengesetzter Richtung lag. Ansonsten war der Service im Lutetia gut, auch wenn er es nicht mit dem im Berliner Adlon aufnehmen konnte. Und im Vergleich zu dem, was ich im Weltkrieg erduldet hatte, war meine jetzige französische Unterkunft purer Luxus. Frische saubere Bettwäsche und eine gutsortierte Cocktailbar waren ein äußerst angenehmer Gegensatz zu überfluteten Schützengräben und lauwarmem Kaffeeersatz. Hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre vor lauter Begeisterung endgültig zum Nazi geworden.
Die Franzosen konnte ich nicht leiden. Der
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