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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Krieg – der Weltkrieg – war mir noch viel zu frisch in Erinnerung, als dass ich sie hätte mögen können, aber jetzt, wo sie in ihrem eigenen Land Bürger zweiter Klasse waren, taten sie mir irgendwie leid. Die besten Hotels und Restaurants waren ihnen verboten. Das Maxim’s war in deutscher Hand. Die Erste-Klasse-Abteile in der Métro blieben Deutschen vorbehalten. Und die Franzosen, für die gutes Essen praktisch eine Religion war, mussten für Brot, Wein und Zigaretten lange anstehen, da die Lebensmittel rationiert waren. Für die Deutschen dagegen war alles im Überfluss vorhanden. Und ich ließ mir ein vorzügliches Diner im Lapérouse schmecken – einem Belle-Époque-Restaurant, das mehr nach Bordell aussah als die Bordelle selbst.
    Am nächsten Tag erwartete mich Paul Kestner wie vereinbart in der Eingangshalle des Lutetia. Wir begrüßten uns mit Händedruck, ganz wie alte Freunde, und machten uns gegenseitig Komplimente zu unseren eleganten Uniformen. 1940 war das unter deutschen Offizieren gang und gäbe, erst recht in Paris, wo man mehr Wert auf gute Kleidung legte.
    Kestner war groß und dünn und hatte hängende Schultern, wie jemand, der viel Zeit hinter einem Schreibtisch verbrachte. Bis auf die dunklen Augenbrauen, die seine scharf geschnittenen Gesichtszüge weicher wirken ließen, war sein Kopf haarlos, sein Kinn so kantig wie das Brandenburger Tor. Integrität stand ihm förmlich auf die Stirn geschrieben, und es war schwer vorstellbar, dass ein Mann wie er die Polizei und danach mich dermaßen dreist hintergangen haben sollte. Kestner hatte einen Kopf, wie er einen Schweizer Geldschein zieren könnte, und doch hatte ich auf der Fahrt von Berlin hierher lange hin und her überlegt, ob ich in diesen Kopf eine Kugel jagen sollte oder nicht. Heydrichs Schergen hatten ganze Arbeit geleistet. Die Akte, die er mir im Wagen übergeben hatte, enthielt unter anderem die Kopie eines anonymen Briefes an die Judenabteilung, in dem Kestner mich als Mischling denunzierte, sowie ein Musterschriftstück in Kestners identischer Handschrift, das er in diesem Fall reizenderweise auch unterzeichnet hatte. Außerdem lag ein Foto bei, das im März 1925 aufgenommen worden war, also ehe er zur Berliner Polizei kam. Darauf trug Kestner die Uniform eines kommunistischen Parteikaders, auf einem KPD -Wahlbus prangte ein Plakat mit der Aufschrift WÄHLT THÄLMANN . Während ich nun also lächelnd Kestners Hand schüttelte und mit ihm in gemeinsamen Erinnerungen schwelgte, wollte ich ihm gleichzeitig die Zähne einschlagen, und das Einzige, was mich davon abhielt, war die Zuneigung, die ich noch immer für seine jüngere Schwester empfand.
    «Was macht Traudl?», fragte ich. «Ist sie mit ihrem Medizinstudium fertig?»
    «Ja. Sie ist jetzt Ärztin. Arbeitet für etwas, das sich Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege nennt. Irgendeine vom Staat finanzierte Klinik in Österreich.»
    «Du musst mir ihre Adresse geben», sagte ich. «Damit ich ihr eine Postkarte aus Paris schicken kann.»
    «Sie ist auf Schloss Hartheim», erklärte er. «In Alkoven bei Linz.»
    «Hoffentlich nicht zu nah bei Linz. Da kommt Hitler her.»
    «Immer noch der alte Bernie Gunther.»
    «Nicht ganz. Du vergisst die Piratenkappe, die ich jetzt trage.» Ich tippte an den silbernen Totenkopf mit gekreuzten Knochen an meiner grauen Offiziersmütze.
    «Da fällt mir ein.» Kestner schaute auf seine Armbanduhr. «Wir haben um elf Uhr einen Termin bei Standartenführer Knochen im Hotel du Louvre.»
    «Wohnt der nicht hier im Lutetia?»
    «Nein. Hier hat Oberst Rudolph von der Abwehr das Sagen. Knochen schmeißt seinen Laden gern allein. Der SD ist hauptsächlich im Hotel du Louvre auf der anderen Seite der Seine abgestiegen.»
    «Wieso haben die mich dann hier untergebracht?»
    «Wahrscheinlich, um Rudolph ans Bein zu pinkeln», sagte Kestner. «Weil er höchstwahrscheinlich nichts von deinem Auftrag weiß. Übrigens, Bernie, wie lautet dein Auftrag? Die Prinz-Albrecht-Straße hat sich ziemlich bedeckt gehalten, warum sie dich nach Paris schicken.»
    «Erinnerst du dich noch an den Kommunisten, der 1931 in Berlin zwei Polizisten ermordet hat? Erich Mielke?»
    Kestner zuckte nicht mal mit der Wimper, als der Name fiel, das musste man ihm lassen.
    «Dunkel», sagte er.
    «Nach Heydrichs Informationen sitzt er in einem Internierungslager irgendwo in Südfrankreich. Ich habe Befehl, ihn ausfindig zu machen, ihn nach Paris zu bringen und seine

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