Mississippi Delta – Blut in den Bayous (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
und machte sich wieder daran, seine Fische auszunehmen.
Ich erzählte Annie, wohin ich fahren wollte, und eine halbe Stunde später parkte ich vor dem Gebäude der Bundesämter in der Innenstadt von Lafayette, wo die Drogenfahndung, die DEA, ihr Büro hatte. Es war ein großes, modernes Bauwerk, errichtet in der Kennedy-Johnson-Ära, verschwenderisch ausgestattet mit großen Glastüren und getönten Fenstern und Marmorfußböden; doch gleich rechts, ein Stück die Straße entlang, befand sich die alte Polizeiwache von Lafayette mit dem angegliederten Gefängnistrakt, ein gedrungener grauer Betonbau mit vergitterten Fenstern im zweiten Stock, ein häßlicher Zeuge der Vergangenheit, daran gemahnend, daß das Gestern nur einen Lidschlag entfernt von der scheinbaren Ruhe der Gegenwart ist. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Hinrichtung, die in den frühen fünfziger Jahren in dem Gefängnis stattgefunden hat. Der elektrische Stuhl wurde von Angola herübergeschafft; zwei große Stromgeneratoren auf einem Sattelschlepper summten in einer Nebenstraße hinter dem Gebäude; dicke schwarze Kabel liefen von den Generatoren durch ein vergittertes Fenster im zweiten Stock. An einem lauen Sommerabend um neun Uhr hörten Leute im Restaurant auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Mann einmal aufschreien, kurz bevor ein Lichtbogen von den Fenstergittern zu springen schien. Später sprachen die Leute in der Stadt nicht mehr gern davon. Danach wurde dieser Teil des Gefängnisses geschlossen, heute steht dort eine Sirene für den Zivilschutz. Schließlich wollten sich nur noch wenige Leute daran erinnern, daß hier überhaupt eine Hinrichtung stattgefunden hat.
Doch an diesem dunstigen Mainachmittag, der nach Blumen und Regen duftete, schaute ich hoch zu einem offenen Fenster des Bundesamts im zweiten Stock, aus dem gerade ein Papierflugzeug gesegelt kam. Es flog in weitem Bogen über die Straße und prallte von der Windschutzscheibe eines fahrenden Autos ab. Ich hatte eine dunkle Ahnung, wer es geworfen hatte.
Und tatsächlich, als ich durch die offene Tür von Minos P. Dautrieves Büro kam, sah ich einen großgewachsenen Mann mit Bürstenhaarschnitt zurückgekippt in seinem Sessel sitzen, die Strickkrawatte über dem aufgeknöpften Kragen herabbaumelnd, einen Fuß auf dem Schreibtisch, den anderen im Papierkorb, eine riesige Hand in der Luft schwebend, offenbar gerade dabei, den nächsten Papierflieger lossegeln zu lassen. Sein blondes Haar war so kurz geschnitten, daß die Sonne sich auf seiner Kopfhaut spiegelte; tatsächlich schienen sich überall auf seinem hageren, glattrasierten Gesicht kleine Lichter zu brechen. Auf seiner Schreibunterlage lag ein offener brauner Umschlag, in dem etliche zusammengeheftete Telexblätter steckten. Er ließ den Papierflieger auf den Schreibtisch fallen, befreite seinen Fuß aus dem Papierkorb und schüttelte mir derart energisch die Hand, daß er mich fast aus dem Gleichgewicht gebracht hätte. Mir war, als hätte ich ihn früher schon einmal gesehen.
»Tut mir leid, daß ich Sie herzitiert habe«, sagte er, »aber es ist schon mal ein Anfang, stimmt’s? He, ich habe übrigens Ihre Geschichte gelesen. Faszinierendes Zeug. Setzen Sie sich. Haben Sie wirklich diesen ganzen Bockmist gemacht?«
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.«
»Na, kommen Sie. Wenn einer ein Register wie Sie hat, setzt er sich doch immer in die Nesseln. Zweimal verwundet in Vietnam, das zweite Mal von einer Mine. Dann vierzehn Jahre bei der Polizei von New Orleans, wo Sie ein paar Leuten was wirklich Schlimmes zugefügt haben. Warum geht ein Bursche mit einem Examen in Englisch in die Polizeiarbeit?«
»Soll das ein Verhör werden?«
»Bleiben Sie auf dem Teppich. Diesen Spaß werden wir uns wohl verkneifen müssen. Die meiste Zeit rennen wir doch einfach nur rum und bereiten Fälle für die Bundesrichter vor. Das wissen Sie genau. Aber Sie werden zugeben müssen, Ihre Akte liest sich sehr spannend. Darin steht, daß Sie drei Leute umgenietet haben, von denen einer mal die Schmalztolle numero uno gewesen ist, Drogenhändler und Zuhälter in New Orleans. Außerdem war er als Kronzeuge der Regierung vorgesehen, zumindest bis Sie Hackfleisch aus ihm gemacht haben.« Er lachte laut heraus. »Wie haben Sie es eigentlich geschafft, einen Kronzeugen der Regierung umzulegen? Das ist doch einigermaßen schwer. Gewöhnlich halten wir sie auf der Reservebank unter Verschluß.«
»Wollen Sie das wirklich
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