Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
eBay an und bleibe dort am Foto einer extrem coolen Taucheruhr von Zenith hängen. Dazu müssen Sie wissen, dass ich ausgesprochen ektomorph bin. Ich habe Handgelenke wie Pfeifenstiele. Eine Uhr, die breiter als mein Handgelenk ist, hätte für mich also wenig Nutzen.
Aber Halbwissen kann gefährlich sein, und da ich inzwischen Stammgast der Sparte Armband- und Taschenuhren bei eBay bin, weiß ich, dass das Uhrwerk in dieser speziellen Zenith dasselbe ist, das Rolex in die wesentlich teurere Daytona einbaut. Womit die Uhr nicht nur ein Präzisionszeitmesser, sondern vermutlich auch unterbewertet ist – ein identisches Exemplar, wenn auch in besserem Zustand, war eine Woche zuvor bei eBay für knapp zweitausend Dollar über den Tisch gegangen.
»Ich wusste nicht mal, dass du einen Internetzugang hast«, sagte Patrick. »Willst du damit sagen, du hättest deine berüchtigte Abneigung gegen das Netz aufgegeben, nur um eBaysüchtig zu werden?«
Nun, ja. Irgendwie. Nicht ganz.
eBay ist einfach die einzige Seite, die mich immer wieder ins Netz zurückkehren lässt. Auf jeden Fall ist es für mich der erste »reale« virtuelle Ort.
In Patricks Hotelzimmer benutzten wir seinen Laptop, um auf eBay zu gehen, und ich stellte fest, dass ich tatsächlich immer noch Höchstbietender für die verdammte Zenith war: 500 amerikanische Dollar. Dabei war das Gebot gar nicht richtig ernst gemeint. Ich hatte, noch nicht ganz wach, in meinem Büro gesessen und bescheidene, aber immer höher angesetzte Gebote abgegeben, in der Annahme, dass der nicht angezeigte »Mindestpreis« des Verkäufers, also das niedrigste Gebot, das er akzeptieren würde, relativ hoch sein würde. Aber nein, bei 500 Dollar hatte ich den Mindestpreis erreicht und wurde nun als Höchstbietender genannt. Das war auch früher schon passiert,und ich war später stets überboten worden. Ich machte mir also keine Sorgen.
Eigentlich wollte ich diese furchtbar große Uhr, die sich noch dazu in Uruguay befand, gar nicht kaufen. Und jetzt war ich immer noch Höchstbietender, und die Auktion würde ablaufen, bevor ich nach Vancouver zurückgekehrt war. Ich machte mich schon darauf gefasst, die Zenith wieder verkaufen zu müssen.
Als ich jedoch zu Hause ankam, stellte ich mit gemischten Gefühlen fest, dass ich »gesniped« worden war. Irgendjemand, oder vielmehr dessen automatisierte Bietsoftware, hatte in den letzten Sekunden der Auktion ein Gebot abgegeben und die Zenith für den geringstmöglichen Erhöhungsschritt ersteigert.
Wie bin ich da überhaupt hineingeraten?
Jahrelang ist es mir problemlos gelungen, alles zu vermeiden, was irgendwie mit einem Modem zu tun hat. E-Mail-Adresse? Tut mir leid, habe ich nicht.
Und dann bekam ich eine Website. Sie wurde mir von Christopher Halcrow untergeschoben, der »William Gibson’s Yardshow« geschaffen hatte, meine »offizielle« Homepage. Um mir die Seite anschauen zu können, musste ich allerdings in die Zimmer meiner Kinder gehen und darum bitten, ihren Computer benutzen zu dürfen, wovon diese bald ziemlich genervt waren.
Kurz darauf kaufte Chris, der einen guten Riecher für Schnäppchen hat, jemandem einen Performa 5200CD ab, den er zum selben Preis an mich weitergab. Und plötzlich hatte ich dieses Gerät, mit Video-Funktion und Kabelmodem, für das ich sogar schon ein Loch in die Wand hatte bohren lassen, als ich zu meinem Schrecken feststellte, dass ich nun auch eine E-Mail-Adresse besaß. Sie war Teil des Pakets. Binnen einer knappen Viertelstunde hatte sie das Faxgerät – mit bestimmten Leuten faxte ich mir damals Nachrichten zu, einfach um in Kontakt zu bleiben – weitgehend ersetzt.
Wie es sich ergab, besaß ich kurz darauf keine Website mehr, weil Chris es notwendig fand, sich ein eigenes Leben zuzulegen. Aber es blieb ja immer noch der Rest des Netzes, den ich erkunden konnte. Das tat ich dann auch und war recht schnell gelangweilt. Anfangs machte es Spaß, nach einer Weile stellte ich jedoch fest, dass es dort keinen Ort gab, an dem ich mich länger aufhalten wollte. Ich besuchte zahlreiche Seiten, kehrte aber nur selten irgendwohin zurück.
Dann fand ich eBay. Und war sofort fasziniert. Weil eBay vor allem eine Menge Zeug ist. Zeug, das man sich anschauen, bestaunen, begehren – und auf das man bieten kann.
Mechanische Uhren sind so wunderbar überflüssig.
Jede Swatch oder Casio ist präziser, und moderne Schweizer Luxusuhren kosten heute so viel wie ein Kleinwagen. Aber mechanische Uhren
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