Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
aus den späten Vierzigern oder frühen Fünfzigern mit einem schwarzen Zifferblatt und einem weißen medizinischen Rehaut. (Mir die richtige Terminologie anzueignen, machte für mich einen Großteil der Faszination aus. Ein medizinisches Rehaut ist ein Außenring aus 60 Sekunden umfassenden Einteilungen, der Ärzten das Pulsmessen bei einem Patienten erleichtern sollte.) Die Aquamedico war von jemandem eingestellt worden, der offenbar keine Ahnung von Uhren hatte – der Angebotstextmachte einen laienhaften, ungenauen Eindruck und schwieg sich über den Zustand der Uhr aus. Eine E-Mail an den Verkäufer entlockte diesem die Meinung, dass sie aussähe, als sei sie »nicht so oft getragen worden«, was mir gefiel. Das Foto war ziemlich unscharf, aber ich mochte das Design der Ziffern. Und der Name, Aquamedico, gefiel mir auch, weil er mich aus irgendeinem Grund an die Anzeigen auf den hinteren Seiten von Field & Stream und True Mitte der 50er-Jahre erinnerte.
Versuchsweise (aber einem inneren Zwang gehorchend) gab ich ein niedriges Gebot ab und wartete darauf, ob die Aquamedico bei den Uhrenexperten bei eBay auf großes Interesse stieß. Das war nicht der Fall.
In der Zwischenzeit brachte ich in Erfahrung, dass Croton ein bewährter Schweizer Hersteller ist, dessen Uhren in den Vierzigern und Fünfzigern in den USA ziemlich verbreitet waren. Zu Kriegszeiten hatte er sogar ganzseitige Anzeigen in Fortune .
Ich beschloss, Nägel mit Köpfen zu machen und zu versuchen, das Ding zu kaufen – ein Objekt aus dem Cyberspace in die Realität zu importieren. Oder vielmehr aus Pennsylvania, aber ich verspürte tatsächlich den merkwürdigen Drang, das nicht besonders scharfe Foto auf meinem Bildschirm in ein reales Objekt auf meinem Schreibtisch zu verwandeln. Und soweit ich wusste, war es womöglich die einzige Croton Aquamedico, die auf der ganzen Welt verblieben war. (Tatsächlich habe ich seither auch nur eine weitere bei eBay gesehen, und diese war vergoldet mit einem weißen Zifferblatt, was mir weniger gefiel.)
An dem Abend, als die Auktion ablaufen sollte, gab ich – nach eingehender Überlegung meiner Bietstrategie (und ohne jede Erfahrung mit Auktionen irgendwelcher Art) – ein Gebot ab, das deutlich unter der Zweihundert-Dollar-Grenze lag, die ich mir selbst gesetzt hatte.
Damit war ich Höchstbietender. Und dann saß ich da und wartete.
Meine Gedanken rasten. Was, wenn nun jemand in den letzten Minuten der Auktion meine Croton entdecken und beschließen würde, sie mir wegzuschnappen? Das automatische Bietsystem bei eBay ermöglicht es Käufern, ein »Maximalgebot« abzugeben – den höchsten Betrag, den sie bereit sind, für einen bestimmten Gegenstand zu bezahlen. Mein Maximalgebot lag bei einhundertvierzig Dollar. Bei eBay muss man aber nicht immer das Maximalgebot zahlen. Hebt man in einem Auktionshaus die Hand und bietet zweihundert Dollar auf eine Uhr, ist man daran gebunden. Bei eBay gibt es bei jeder Auktion festgelegte Erhöhungsschritte, angefangen bei einem Betrag von fünf Cents. Bei einem Erhöhungsschritt von zwei Dollar könnte ein Rivale zweihundert Dollar auf meine Uhr bieten und mich damit übertrumpfen, müsste am Ende aber vielleicht nur einhundertzweiundvierzig Dollar zahlen, also zwei Dollar mehr als mein Maximalgebot.
Ich begann, nervös zu werden. (Und damals wusste ich noch nicht einmal etwas von Sniping-Software und automatischen Bietprogrammen.) Wenn nun jemand anderes diese Uhr ersteigerte, diese Uhr, die ich noch nie gesehen hatte, die mir aber bereits irgendwie ans Herz gewachsen war? Langsam gewann ich einen Eindruck von der machtvollen Psychologie von Auktionen, etwas, das ich zuvor noch nicht erlebt hatte.
Ich bin kein Spieler. Ich habe noch nie Geld auf ein Pferd gesetzt, einen Lotterieschein gekauft oder Karten um hohe Einsätze gespielt. Das gibt mir einfach nichts. Natürlich lege auch ich mitunter zwanghaftes, risikoreiches Verhalten an den Tag, aber nie im Bereich des Glücksspiels. Bei dieser Auktion verspürte ich jedoch einen Rausch, der dem beim Glücksspiel wahrscheinlich nicht unähnlich war.
Aber was, wenn die Croton gar nicht so begehrenswert war?Ein minderwertiger Artikel, über den ein richtiger Uhrenkenner nur lachen würde?
Oder wenn der Verkäufer einfach meine Postanweisung abholen und dann mit dem Geld verschwinden würde? Ich hatte jedoch sein Profil im Feedback-Forum überprüft, in dem zahlreiche Leute ihm attestierten, er sei ehrlich und
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