Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
angenehm im Umgang, die Waren seien wie beschrieben und die Lieferung ginge schnell vonstatten. (Was sich letzten Endes alles als wahr erweisen sollte.)
Derweil klickte ich – weniger als eine Stunde vor Auktionsende – immer wieder mechanisch auf den Aktualisieren-Knopf meines Netscape-Browsers wie eine Omi in Las Vegas, die am Hebel eines einarmigen Banditen zieht – um herauszufinden, ob ich überboten wurde. Ich wusste, wie lange es dauern würde, ein neues Gebot abzugeben (nicht sehr lange), aber ich hatte keine Ahnung, wie lange der Server brauchen würde, um mein Gebot zu prozessieren.
Der endgültige Countdown begann, und niemand ließ sich blicken, bis ein weiterer Klick auf den Aktualisieren-Knopf schließlich … einen neuen Höchstbietenden zutage förderte! Erschrocken hastete ich durch den Bietprozess und erhöhte mein Gebot. Eine nervenaufreibende Prozedur. Aber zugegebenermaßen eine, die richtig Spaß machte.
Aktualisieren. Und ich war wieder der Höchstbietende.
Die Auktion wurde beendet.
Die Aquamedico gehörte mir.
Ich sah mir die Adresse des Käufers an, der versucht hatte, mich in letzter Minute zu überbieten. Ein »hk« am Ende deutete darauf hin, dass er aus Hongkong stammte, wo es eine Menge Sammler klassischer Uhren gab, wie ich bereits wusste. (Am Tag zuvor hatte ich eine wunderbar bizarre Website aus Taiwan entdeckt, eine Art Mikroschrottplatz, wo ausschließlich Teile von Rolex-Uhren verkauft wurden: Gehäuse, Zifferblätter,Zeiger, etc.) Dass dieser Käufer aus Hongkong im letzten Moment aufgetaucht war, um eine Uhr zu ersteigern, die er mit seinem zweifellos beträchtlichen Expertenwissen als begehrenswertes Sammlerstück erkannt hatte, erfüllte mich mit Genugtuung. Ich war wachsam geblieben und hatte am Ende den Sieg davongetragen.
Ich schrieb dem Verkäufer eine E-Mail, schickte ihm meine Postadresse und bat ihn um seine.
Am nächsten Morgen erwarb ich eine Postanweisung, die Standardzahlmethode bei eBay.
Als die Aquamedico eintraf, musste ich zu meiner Enttäuschung jedoch feststellen, dass sie ungewöhnlich klein war, möglicherweise eine Kinderuhr. Ich kehrte zu der Angebotsbeschreibung bei eBay zurück und sah, dass dort tatsächlich von einer 30-mm-Uhr die Rede war. Das Foto war jedoch größer als die Uhr selbst, und ich hatte angenommen, 30 mm seien Standard (in Wahrheit entsprechen eher 36 mm dem heutigen Standard für Männeruhren). Und obwohl das Stahlgehäuse kaum Gebrauchsspuren aufwies und sogar besser war als beschrieben, war das Uhrenglas so stark zerschrammt, dass sich der Zustand von Zifferblatt und Zeigern unmöglich erkennen ließ. Die Uhr war aus dem Cyberspace zu mir gelangt, aber sie sah nicht aus wie auf dem Foto. Sie sah aus, als hätte sie vierzig Jahre in einer Sockenschublade irgendwo in Pennsylvania gelegen. Und möglicherweise war es ja auch so.
Der Verkäufer hatte sich aber insgesamt tadellos verhalten, weshalb ich ihm ein positives Feedback gab und er mir ebenfalls.
Ich brachte die Aquamedico zu Otto Friedl, einem absoluten Spezialisten für die Pflege klassischer Schweizer Tamagotchis in der unteren Lobby des Hotel Vancouver, und bat ihn, sie zu säubern, zu ölen und das Uhrenglas zu ersetzen. Als ich sie wieder abholte, entdeckte ich, dass sie tatsächlich sehr schön war, das schwarze Zifferblatt makellos, ihr virtù intakt.
Aber es war nicht »die Uhr«.
Ich sagte mir, dass es »die Uhr« nicht gibt und dass ich lediglich, nachdem ich das Netz jahrelang gemieden hatte, nun ebenfalls einen Weg gefunden hatte, dort zwanghaft Zeit zu verschwenden.
Ich machte dennoch weiter. Öffnete immer wieder dasselbe Lesezeichen und klickte mich durch seitenweise Uhrenangebote. Lernte, einen Code lesen, den nur wenige Leute verstehen. Und im Grunde gab es da alles: Swatch-Uhren (die wie Barbies gesammelt werden), ramponierte Gruens, wie sie auch in Pfandhäusern in Kansas City liegen und Staub sammeln, alle Arten und Jahrgänge von Rolex, Omegas aus Kriegszeiten mit dem britischen breiten Pfeil auf dem Gehäuseboden, deutsche Sinn-Chronographen, die man hier eigentlich gar nicht bekommen dürfte, Uhren von der Wahlkampagne Spiro Agnews …
Und ich bot weiter, normalerweise ein paar Mal die Woche. Meistens gab ich mich damit zufrieden, überboten zu werden. Irgendwann kaufte ich noch eine weitere Uhr, eine aus London mit dem seltsamen Namen Tweka und einem zweifarbigen Kupferzifferblatt. Sie kostete mich etwa hundertfünfzig Dollar und war im
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