Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
so nicht einfangen kann.
Selbstbewusst wie immer gelingt es London, die japanische Kultur auf eine Weise zu spiegeln, zu verzerren und sich daran zu erfreuen, wie es meiner Heimatstadt Vancouver beispielsweise niemals möglich wäre. In Vancouver biedern wir uns den Japanern lediglich höflich an – den Bustouristen mit ihren obligatorischen Fotoapparaten und den faszinierenden, aber wortkargen japanischen Slackern. Letztere sieht man ständig allein oder zu zweit durch die Stadt schlurfen, und wir reagieren auf sie so, wie die Bewohner von Puerto Vallarta vermutlich auf Sie oder mich reagieren: »Da sind sie wieder. Was sie wohl denken mögen?«
Die japanische Kultur spiegeln wir jedoch nicht. Bei uns gibt es kein Äquivalent zu der vollautomatisierten Sushi-Bar im Harvey Nichols, die »japanischer« kaum sein könnte und in Tokio oder Osaka wahrscheinlich nicht annähernd so cool aussähe.
Bei uns gibt es keine Muji-Läden zwischen den Starbucks-Filialen (auch wenn ich mir das wünschte, weil ich nämlich dringend Nachschub von ihrer exzellenten Zahnpasta brauche). Muji ist ein gutes Beispiel. Dieser Laden gaukelt uns das Bild eines Japans vor, das so nicht existiert. Ein imaginäres Japan, wo selbst Nagelscheren und Plastikkleiderbügel von einer zenartigenReinheit gekennzeichnet sind: funktionell, minimalistisch und preisgünstig. Ich würde das Japan, das Muji heraufbeschwört, gern einmal besuchen, um dort Urlaub zu machen und zu einer neuen Gelassenheit zu finden – alles ist glatt und durchsichtig und mit natürlichen Materialien und ungebleichtem Karton perfekt aufeinander abgestimmt. Meine Toilettenartikel würden nicht vorgeben, mehr zu sein, als sie sind, und ich selbst ebenso wenig. (Sollte Mujiland tatsächlich irgendwo existieren, dann vermutlich nicht in Japan, sondern irgendwo in London.)
Weil wir in Vancouver die japanische Kultur nicht widerspiegeln, sind wir im Gegensatz zu London als Markt auch vollkommen uninteressant.
Die schicken Uhrengeschäfte Londons sind die einzigen Läden auf der Welt, wo man außerhalb Japans die neuesten Produkte von Casio und Seiko kaufen kann.
Die japanischen Hersteller wissen, dass sie in London wahrgenommen und verstanden werden. Sie wissen, dass diese Stadt für sie ein Markt ist.
Ich beobachte gerne die Japaner auf dem Portobello Market. Manche sind nur aus touristischer Neugierde dort, andere verfolgen obsessiv ganz spezielle Missionen. Sie suchen beispielsweise nach britischen Militäruhren oder viktorianischen Korkenziehern, Dinky Toys oder Kunststoffserviettenringen. Die Augen der Händler leuchten auf, wenn ein Schwarm Japaner auftaucht, charakteristischerweise ohne Fotoapparate, dafür aber mit einem Dolmetscher im Schlepptau. Es mag ein Überbleibsel aus wohlhabenderen Zeiten sein, dennoch werden die Japaner immer noch mit großer Wahrscheinlichkeit zugreifen, wenn sie das eine bestimmte Objekt entdecken, das ihre Otaku -Begierde entfacht. Es wäre kein Spontankauf, sondern das Zuschnappen einer Falle, die sie sich vor langer Zeit selbst gestellt haben.
Der Otaku mit seiner zwanghaften Besessenheit, die Inkarnation des Connaisseurs im Informationszeitalter, dem es mehr um die Anhäufung von Daten als Gegenständen geht, scheint an der Schnittstelle zwischen britischer und japanischer Kultur heute eine natürliche Crossover-Figur zu sein. In den Augen der Portobello-Händler ebenso wie in denen der japanischen Sammler kann ich eine ruhige Ekstase ausmachen, mörderisch und erhaben zugleich. Den Otaku zu verstehen heißt, die Netzkultur zu verstehen. Er hat etwas durch und durch Globales. In der postmodernen Welt sind wir alle Kuratoren, ob wir wollen oder nicht.
Die Japaner sind große Fans sogenannter »Geheimmarken« – ein weiteres Merkmal, das sie mit den Briten teilen. Dort herrscht eine ähnliche Faszination für das Detail, das Katalogisieren und Differenzieren. Beide Länder verstehen sich hervorragend darauf, ein ausländisches Produkt in ihre Kultur zu integrieren und sich zu Eigen zu machen.
Warum also Japan? Weil die Japaner in der Zukunft leben – aber weder in Ihrer noch in meiner – und diese irgendwie interessant erscheinen lassen oder auf interessante Weise schrecklich. Weil sie in der Lage sind, ein Sportgetränk Your Water zu nennen. Weil sie museumswürdige Kopien der MA-1 Fliegerjacke herstellen, auf die der geneigte Käufer mehrere Jahre warten muss. Weil sie in absolutem Ernst Dinge sagen können wie: »Ich mag Ihren
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