Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
verbotene politische Reden verbreitet. Pager und Handy werden zu Werkzeugen im heiß umkämpften Markt der illegalen Drogen. Andere technologische Artefakte wandeln sich überraschend zu Kommunikationsmitteln, wenn die Umstände es möglich oder notwendig machen. Die Erfindung der Sprühdose führte zur Entstehung der urbanen Graffiti-Matrix. Sowjetische Rocker benutzen alte Röntgenaufnahmen, um daraus Schallfolien zu pressen.
Der Junge mit dem Rocket Radio wird älter. Eines Tages entdeckt er das zwei Meter lange Stück eines merkwürdig dünnen Magnetbandes, das sich am Straßenrand in Ontario in einem Gebüsch verfangen hat. Wir befinden uns am Ende der 8-Spur-Ära.Aus seinem Fund – diese halb vertraute Substanz, die frustriert aus einer vorbeirasenden Corvette geworfen wurde, um sich wie neutechnologisches Engelshaar auf das Gebüsch zu legen – schließt der Junge auf die Existenz des neuen, exotischen Kassettenformats.
Ich gehöre zu einer Generation von Amerikanern, die sich noch vage an eine Welt vor dem Fernsehen erinnern können. Vielen von uns ist das sogar ein bisschen unangenehm – als sei die Welt vor dem Fernsehen irgendwie noch gar keine richtige Welt gewesen. Die fernsehlose Welt war die Welt vor dem Netz – vor dem Aufkommen der Massenkultur und ihren Informationsmechanismen. Und heutzutage sind wir Netzmenschen – sich an ein anderes Dasein zu erinnern, heißt zuzugeben, dass man einmal nicht menschlich war.
Im Laufe unseres Lebens hat sich das Netz mit der Geschwindigkeit einer Viruserkrankung ausgebreitet, und diese Entwicklung setzt sich weiter fort.
In Japan, wo so viele Komponenten des Netzes erfunden und hergestellt werden, steht man dieser rasanten Evolution mit uneingeschränkter Begeisterung gegenüber. Akihabara, Tokios riesige Elektronikmeile, vibriert und summt vor Geschäftigkeit. In dieser Stadt werden Fernseher meist schon nach drei Jahren ausrangiert und landen auf der Müllkippe. Doch selbst in Tokio löst das Netz bei manchen Menschen Übergangsängste aus, wie ich zu meiner Beruhigung erfuhr, als ich Katsuhiro Otomo kennenlernte, den Schöpfer von Akira , einer äußerst populären Comicserie. Keiner von uns sprach die Sprache des anderen. Unser gemeinsamer Verlag stellte uns einen Dolmetscher zur Verfügung, und unser »Gespräch« wurde erbarmungslos aufgezeichnet. Dennoch gelang es Otomo und mir, einen Moment kulturübergreifender Technik-Angst zu teilen.
Sein Wohnzimmer wurde von einem riesigen mattschwarzen Mediencenter dominiert, bei dessen Anblick jeder Hollywood-Produzent blass geworden wäre. Er deutete auf einen zwanzig Zentimeter hohen Stapel von Fernbedienungen.
»Damit umgehen kann ich nicht«, sagte er. »Das können nur meine Kinder.«
»Ich komme mit meinen auch nicht zurecht.«
Otomo lachte.
Heute ist Otomos Sammlung von Fernbedienungen wahrscheinlich Teil einer sorgfältig planierten Gomi -Fläche auf einer Müllkippe von Neo-Tokio. Gomi ist das japanische Wort für »Abfall«, der zum großen Teil aus veralteter Unterhaltungselektronik besteht – wie die kürzlich überflüssig gewordenen Fernbedienungen. Im Vertrauen auf ständigen Nachschub vergrößern die Japaner inzwischen ihre Insel damit.
Der Sex-Appeal des Neuen, und wie schnell er nachlässt. Die Metaphysik der Kauflust im ausgehenden 20. Jahrhundert …
Vor zwei Jahren habe ich mich endlich breitschlagen lassen, mir eine vernünftige Stereoanlage zuzulegen. Ein Freund hatte eine Karriere als Importeur moderner Audiogeräte begonnen und konnte einfach nicht mehr mit ansehen, dass ich noch mein altes »System« besaß. Er bot mir eine komplette Anlage mit Rabatt an, vorausgesetzt, ich ließe ihn die einzelnen Komponenten auswählen.
Ich stimmte zu.
Und die Anlage hat tatsächlich einen guten Klang.
Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob ich die Musik damit mehr genieße als mit dem Low-Fi-Schrott, den ich vorher hatte. Die Musik selbst bleibt davon unberührt. Man kann sie auch aus dem verbeulten Lautsprecher eines Datsun Sunny B210 hören, der Löcher im Bodenblech hat. Manchmal ist das sogar genau die richtige Art, Musik zu hören.
Ich kannte mal einen Mann, der seine Jugend im L. A. der Vierziger Jahre verbracht und viel Jazz gehört hatte. Er erzählte mir, er habe an den Nachmittagen oft völlig verzückt der Musik von 78-U / min-Schallplatten gelauscht, die mit einer spitzen Stahlnadel abgespielt wurden. Die Platten waren bereits »weiß von der Abnutzung« – was bedeutet,
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