Misstrauen Sie dem unverwechselbaren Geschmack
dass das Schellack mit den Rillen auf diesen ursprünglich schwarzen Schallplatten schlichtweg nicht mehr vorhanden war. Die Musik, die er hörte, konnte nur noch eine entfernte Ähnlichkeit mit ihrem ursprünglichen Klang gehabt haben. (Wie er erklärte, waren auch Plattenspielernadeln damals der Rationierung unterworfen. Weshalb verzweifelte Hipster in ihrer Not die Dornen großer Kakteen benutzten.)
Trotzdem liebte dieser Mann seine Musik.
Die Rolling Stones hörte ich zum ersten Mal auf einem batteriebetriebenen, basketballförmigen Miniaturplattenspieler mit Schweinslederbezug aus Frankreich – ein Low-Tech-Gerät, das damals bahnbrechend war, heute jedoch völlig in Vergessenheit geraten ist. Bahnbrechend deshalb, weil der jugendliche Besitzer seine LPs überallhin mitnehmen konnte und selbst noch in der Pampa eine berauschende Auswahl hatte.
Eine völlig neue Möglichkeit, seine Lieblingsmusik zu hören. Wobei »Auswahl« der entscheidende Begriff ist. Das revolutionäre Potenzial des batteriebetriebenen Plattenspielers wurde erst wieder vom Walkman übertroffen, mit dessen Hilfe sich Musik quasi in jede Landschaft integrieren lässt.
Der Walkman hat unsere Wahrnehmung der Stadt verändert.
Joy Division hörte ich zum ersten Mal auf einem Walkman, und bis heute ist die düstere Majestät der Songs für mich untrennbar mit der Entdeckung verbunden, wie aufregend es sein kann, sich – eingekapselt in Musik – durch den urbanen Raum zu bewegen.
In den Siebzigern begann das Netz immer mehr zu wachsen. Lücken schlossen sich, und ein Paradox trat zutage: Obwohl die Künstler das Netz brauchten, um ein größeres Publikum zu erreichen, kam die beste Kunst, zumindest anfangs, aus den Lücken.
Ich bin von Hause aus Science-Fiction-Autor. Soll heißen, die Literatur, die ich bis dato geschrieben habe, wurde mithilfe eines Marketingmechanismus namens »Science Fiction« an den Verbraucher gebracht. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre hat sich das Netz um die großen Verlage – und die Science Fiction – genauso geschlossen wie um die Musikindustrie und um alles andere.
Als Science-Fiction-Autor wird mir oft die Frage gestellt, ob ich das Netz für eine gute Sache halte. Das ist so, als würde man fragen, ob es gut ist, ein Mensch zu sein. Eine Frage – wir befinden uns schließlich im postmodernen Zeitalter –, die ich nicht beantworten kann. Allerdings werden einige von uns bald die Möglichkeit zum Vergleich haben, weil sie nämlich nicht mehr ganz menschlich sein werden.
Derweil bildet das Familienmediencenter in meinem Wohnzimmer immer neue Metastasen – CD-Spieler, Joysticks, alles Mögliche. Wie die Kinder von Mr Otomo versammeln sich auch meine eigenen einem Schwarm Fliegen gleich darum herum.
Die zweite Frage, die einem als Science-Fiction-Autor häufig gestellt wird, lautet: »Was denken Sie, wie es weitergehen wird?«
Sollte ich darauf irgendwann mal etwas anderes antworten als ein qualifiziertes »Ich habe keine Ahnung«, dann erschießen Sie mich bitte. Auch wenn in der Science Fiction manchmal richtige Vorhersagen getroffen werden, ist sie doch selten in der Lage, die tatsächlichen Auswirkungen einer neuen Entwicklung auf die Gesellschaft vorauszusehen. Der Fernseher zum Beispiel, der in vielen Geschichten aus den Zwanzigernbis in die Vierziger hinein zum obligatorischen Inventar gehörte, wurde in der Regel als privates Kommunikationsmittel dargestellt. Niemand hat Fernsehwerbung, Gameshows oder Heavy-Metal-Musikvideos vorhergesehen.
Das vorausgeschickt prophezeie ich, dass unser Familienmediencenter zu einem zunehmend komplexeren Konglomerat zusammenschmilzt. Verschiedene Geräte werden in einem integriert sein. Die Unterscheidung zwischen Fernseher, CD-Spieler und Computer erscheint heute schon willkürlich. Ein leicht durchschaubarer Betrug, der lediglich dazu dient, die Arbeitsplätze jener Roboter zu erhalten, die die Platinen löten. Wozu das integrierte Netzcenter aber eines Tages in der Lage sein wird – dafür fehlen uns heute noch die Worte.
Ein Beispiel. Ein BBC-Angestellter, der an einer neuen Vision des »interaktiven Fernsehens« arbeitete, bot mir an, mich durch eine kleine Forschungseinrichtung in San Francisco zu führen. Ich sollte mit der neuen Technologie etwas »machen«. In dem Labor, das wir besuchten, habe ich mir verschiedene Dinge, Apparaturen und Konsolen angeschaut, an denen Leute herumbastelten. All diese Geräte trugen irgendwelche Bezeichnungen, was aber
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