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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Finsternis sah ich die vier Beine Noboru Watayas, vier lautlose braune Beine auf vier weichen Pfoten mit schwellenden gummiartigen Ballen, Beine, die unhörbar irgendwo die Erde beschritten. Aber wo?
    »Zehn Minuten, länger wird’s nicht dauern«, sagte die Frau am Telefon. Nein, sie mußte sich irren. Manchmal sind zehn Minuten keine zehn Minuten. Sie können sich in die Länge ziehen oder zusammenschrumpfen. Das wußte ich ganz sicher.
     
    Als ich aufwachte, war ich allein. Das Mädchen war verschwunden. Ihr Liegestuhl berührte noch immer meinen; das Handtuch und die Zigaretten und das Magazin lagen noch da, aber das Glas und der Ghetto-Blaster waren weg. Die Sonne stand jetzt schon im Westen, und der Schatten eines Astes der Eiche war mir über die Knie gekrochen. Meine Uhr zeigte Viertel nach vier. Ich richtete mich auf und sah mich um. Breiter Rasen, trockener Teich, Zaun, steinerner Vogel, Goldraute, Fernsehantenne. Vom Kater weiterhin keine Spur. Ebensowenig vom Mädchen.
    Ich richtete die Augen auf den Katzenpfad und wartete darauf, daß das Mädchen wiederkäme. Zehn Minuten verstrichen, und weder der Kater noch das Mädchen ließen sich blicken. Nichts rührte sich. Ich hatte das Gefühl, während des Schlafes entsetzlich gealtert zu sein.
    Ich stand auf und sah zum Haus hinüber, aber nichts deutete auf die Anwesenheit von Menschen hin. Das Giebelfenster reflektierte den Glanz der westlichen Sonne. Ich gab es auf zu warten und ging über den Rasen zurück auf die Gasse und machte mich auf den Heimweg. Ich hatte den Kater nicht gefunden, aber ich hatte getan, was ich konnte.
     
    Zu Hause holte ich die Wäsche herein und bereitete ein einfaches Abendessen vor. Um halb sechs klingelte das Telefon zwölfmal, aber ich nahm nicht ab. Noch lange nachdem das Klingeln verstummt war, hielt sich der Klang der Glocke im abendlichen Düster des Zimmers wie in der Luft schwebender Staub. Mit den Spitzen ihrer harten Krallen klickte die Tischuhr auf ein durchsichtiges Brett, das im Raum schwebte.
    Warum konnte ich nicht ein Gedicht über den Aufziehvogel schreiben? Die Idee sagte mir zu, aber die erste Zeile wollte und wollte nicht kommen. Wie hätte auch ein Gedicht über einen Aufziehvogel Oberschülerinnen gefallen können?
     
    Kumiko kam erst um halb acht nach Haus. Seit einem Monat kam sie immer später und später. Es war keine Seltenheit, daß es nach acht, manchmal sogar nach zehn wurde. Jetzt, wo ich zu Hause war und das Essen vorbereitete, brauchte sie sich nicht mehr so zu beeilen. Sie hatten sowieso zuwenig Mitarbeiter, und vor kurzem hatte sich einer ihrer Kollegen auch noch krank gemeldet. »Tut mir leid«, sagte sie. »Die Arbeit wurde einfach nicht fertig, und dieses Teilzeitmädchen ist absolut unbrauchbar.«
    Ich ging in die Küche und machte mich ans Kochen: in Butter sautierten Fisch, Salat und Miso-Suppe. Kumiko saß am Küchentisch und relaxte. »Wo warst du um halb sechs?« fragte sie. »Ich hab versucht, dich anzurufen, um zu sagen, daß es spät werden würde.«
    »Die Butter war alle. Ich bin noch rasch in den Laden gegangen«, log ich. »Warst du auf der Bank?«
    »Klar.«
    »Und der Kater?«
    »Hab ihn nicht gefunden. Ich bin zum leerstehenden Haus gegangen, wie du gesagt hattest, aber da war keine Spur von ihm zu sehen. Ich wette, er ist noch weiter gelaufen.« Sie sagte nichts.
    Als ich nach der abendlichen Dusche aus dem Badezimmer herauskam, saß Kumiko bei ausgeschaltetem Licht im Wohnzimmer. So im Dunkeln zusammengekauert, sah sie in ihrem grauen Hemd wie ein Gepäckstück aus, das man am falschen Ort abgestellt hatte.
    Ich setzte mich Kumiko gegenüber auf das Sofa und frottierte mir mit einem Handtuch die nassen Haare. Mit kaum hörbarer Stimme sagte sie: »Ich bin sicher, der Kater ist tot.«
    »Sei nicht albern«, erwiderte ich. »Ich bin sicher, der amüsiert sich irgendwo königlich. Sobald er Hunger hat, kommt er wieder nach Hause. Das ist doch schon mal passiert, weißt du noch? Als wir in Koenji wohnten …«
    »Diesmal ist es anders«, sagte sie. »Diesmal irrst du dich. Ich weiß es. Der Kater ist tot. Er verwest irgendwo in einem Grastuff. Hast du dich auf dem Grundstück auch genau umgesehen?«
    »Nein. Das Haus mag leer stehen, aber es gehört irgend jemandem. Ich kann da nicht einfach reinspazieren.«
    »Wo hast du dann nach dem Kater gesucht? Ich wette, du hast es nicht mal versucht. Deswegen hast du ihn nicht gefunden.«
    Ich seufzte und rubbelte mir wieder das

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