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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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geschnitten und in verschiedenen Häufchen auf einem großen Teller angerichtet, bereit für den Wok. Es fehlte nur noch Kumiko. Ich war hungrig genug, um mit dem Gedanken zu spielen, mir meine eigene Portion zu kochen und allein zu essen, aber so weit wollte ich denn doch nicht gehen. Es wäre einfach nicht anständig gewesen.
    Ich saß am Küchentisch, nippte an einem Bier und knabberte ein paar leicht angeweichte Kräcker, die ich ganz hinten im Schrank gefunden hatte. Ich sah dem kleinen Zeiger der Uhr zu, wie er auf die Halbachtstellung zukroch und sie dann langsam hinter sich ließ.
    Es war nach neun, als sie endlich ankam. Sie sah erschöpft aus. Ihre Augen waren blutunterlaufen: ein schlechtes Zeichen. Wenn sie rote Augen hatte, war immer etwas Schlimmes passiert.
    Okay, sagte ich zu mir, bleib cool, mach kein Aufhebens und keine Szenen. Reg dich nicht auf.
    »Es tut mir furchtbar leid«, sagte Kumiko. »Mit der Arbeit war es heute wie verhext. Ich wollte dich anrufen, aber ständig ist etwas anderes dazwischengekommen.«
    »Macht nichts, ist schon in Ordnung, mach dir nichts draus«, sagte ich, so leichthin wie möglich. Und ich nahm es ihr auch wirklich nicht übel. Ich hatte es schon oft genug selbst erlebt. Arbeiten gehen kann ganz schön hart sein - es ist etwas grundlegend anderes, als zwei Straßen weiter zu gehen, um einer kranken Großmutter die schönste Rose aus dem Garten zu bringen und ihr bis zum Abend Gesellschaft zu leisten. Manchmal muß man mit unangenehmen Leuten unerfreuliche Dinge tun und kommt wirklich beim besten Willen nicht dazu, zu Hause anzurufen. Es würde nicht mehr als dreißig Sekunden erfordern zu sagen: »Heute komme ich später«, und es stehen überall Telefone herum, aber man schafft es einfach nicht.
    Ich machte mich ans Kochen: schaltete den Gasherd ein, goß Öl in den Wok. Kumiko nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und ein Glas aus dem Regal, warf einen kurzen prüfenden Blick auf die Dinge, die ich gleich in die Pfanne schütten würde, und setzte sich wortlos an den Küchentisch. Ihrer Miene nach zu urteilen, schmeckte ihr das Bier nicht. »Du hättest ohne mich essen sollen«, sagte sie. »Schon gut. Ich war nicht so hungrig.«
    Während ich das Fleisch und das Gemüse anbriet, ging Kumiko sich frischmachen. Ich hörte, wie sie sich das Gesicht wusch und die Zähne putzte. Als sie kurz darauf aus dem Badezimmer kam, hielt sie etwas in der Hand. Es waren das Toilettenpapier und die Papiertücher, die ich im Supermarkt gekauft hatte. »Warum hast du denn das Zeug gekauft?« fragte sie in entnervtem Ton. Den Wok in der Hand, sah ich sie an. Dann sah ich auf die Schachtel mit den Tüchern und die Packung Toilettenpapier. Ich hatte nicht die blasseste Ahnung, worauf sie hinauswollte.
    »Wieso? Das sind Papiertücher und Klopapier. Wir brauchen die Sachen. Nicht unbedingt sofort, aber sie werden schon nicht verschimmeln, wenn sie ein Weilchen herumstehen.«
    »Nein, natürlich nicht. Aber warum mußtest du unbedingt blaue Tücher und geblümtes Klopapier kaufen?«
    »Ich kann dir nicht ganz folgen«, sagte ich und bemühte mich, ruhig zu bleiben. »Sie waren im Angebot. Von blauen Papiertüchern wirst du schon keine blaue Nase kriegen. Wo ist das Problem?«
    »Es ist ein Problem. Ich hasse blaue Papiertücher und geblümtes Klopapier. Wußtest du das nicht?«
    »Nein, wußte ich nicht«, sagte ich. »Warum haßt du sie denn?«
    »Woher soll ich denn wissen, warum ich sie hasse? Ich tu’s eben. Du haßt Telefonschoner und Thermosflaschen mit Blümchenmuster und Bellbottom-Jeans mit Nieten, und wenn ich mir die Nägel maniküren lasse. Du kannst genausowenig sagen, warum. Es ist einfach eine Frage des Geschmacks.« Zufällig hätte ich ihr durchaus meine Gründe für jede dieser Abneigungen auseinandersetzen können, aber natürlich tat ich es nicht. »Na gut«, sagte ich. »Es ist einfach eine Frage des Geschmacks. Aber willst du mir etwa sagen, du hättest in den sechs Jahren unserer Ehre nicht ein einziges Mal blaue Papiertücher oder geblümtes Klopapier gekauft?«
    »Niemals. Nicht ein Mal.«
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich. Die Reinigungstücher, die ich kaufe, sind entweder weiß oder gelb oder rosa. Und ich kaufe absolut nie gemustertes Klopapier. Ich finde es schlicht erschütternd, daß du so lange mit mir zusammenleben kannst, ohne das zu wissen.« Ich war nicht minder erschüttert, erfahren zu müssen, daß ich in sechs langen Jahren kein einziges Mal blaue

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