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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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von Herrn Ichikawa. Das Miyawaki-Grundstück sei noch immer nicht verkauft, sagte er, und der Preis sei etwas heruntergegangen.
    »Ich habe es Ihnen ja gesagt, daß das so schnell nicht weggehen wird«, fügte er mit einem Anflug von Stolz hinzu. »Keine Sorge, von nun an geht der Preis langsam, aber sicher in den Keller. Und wie läuft’s bei Ihnen so? Kommt das Geld allmählich zusammen?«
     
    Um acht Uhr an demselben Abend wusch ich mir gerade das Gesicht, als ich feststellte, daß mein Mal sich leicht fiebrig anfühlte. Wenn ich den Finger darauf legte, nahm ich eine Wärme wahr, die ich bis dahin nie bemerkt hatte. Auch die Farbe wirkte intensiver als sonst, fast mit einem Stich ins Violette. Kaum atmend, starrte ich lange in den Spiegel - so lange, daß ich anfing, mein Gesicht als etwas nicht zu mir Gehöriges zu sehen. Das Mal versuchte, mir etwas zu sagen: Es wollte etwas von mir. Ich starrte weiter auf dieses mein Ich hinter dem Spiegel, und dieses Ich fuhr fort, wortlos durch den Spiegel auf mich zurückzustarren. Ich muß diesen Brunnen haben. Was auch passieren mag, ich muß diesen Brunnen haben. Das war der Schluß, zu dem ich gelangt war.

2
    E NDE DES WINTERSCHLAFS
    EINE WEITERE VISITENKARTE
    DIE NAMENLOSIGKEIT DES GELDES
     
    Mit Wollen allein würde ich das Grundstück natürlich nicht in meinen Besitz bringen. Der Geldbetrag, den ich nach realistischer Schätzung würde aufbringen können, belief sich auf knapp über Null. Ich hatte noch einen kleinen Rest vom Erbe meiner Mutter, aber auch der würde schon bald völlig aufgebraucht sein. Ich hatte kein Einkommen und besaß nichts, was ich als Sicherheit hätte anbieten können. Und keine Bank der Welt würde jemandem wie mir aus reiner Menschenfreundlichkeit Geld leihen. Wollte ich aus Nichts Geld machen, würde ich schon zu Magie greifen müssen. Und zwar bald.
    Eines Morgens spazierte ich zum Bahnhof und kaufte zehn fortlaufend numerierte Lose der Fünfzig-Millionen-Yen-Lotterie. Mit Hilfe von Reißzwecken tapezierte ich damit einen Teil der Küchenwand und sah sie mir jeden Tag an. Manchmal saß ich eine geschlagene Stunde auf einem Stuhl und starrte die Lose angestrengt an, als erwartete ich, daß plötzlich ein nur für mich sichtbarer Geheimkode aus ihnen hervorleuchten würde. Nachdem es mehrere Tage lang so weitergegangen war, kam mir der Gedanke: Ich werde nie in der Lotterie gewinnen. Schon bald war diese Einsicht zur Gewißheit gereift. Die Probleme würden sich todsicher nicht so leicht lösen lassen - nicht einfach dadurch, daß ich ein paar Lotterielose kaufte und auf die Ziehung wartete. Ich würde mir das Geld schon durch eigene Anstrengung beschaffen müssen. Ich zerriß die Lose und warf sie in den Müll. Dann stellte ich mich vor den Waschbeckenspiegel und spähte in seine Tiefen. Es muß einen Weg geben, sagte ich zu dem Ich-im-Spiegel, aber natürlich kam keine Antwort.
    Als ich genug davon hatte, allein mit meinen Gedanken im Haus eingesperrt zu bleiben, fing ich an, längere Spaziergänge durch das Viertel zu machen. Drei, vier Tage lang setzte ich diese ziellosen Wanderungen fort, und als ich von dem Viertel genug hatte, stieg ich in den Zug nach Shinjuku. Der Impuls, in die Stadt zu fahren, kam mir ganz plötzlich, als ich zufällig am Bahnhof vorbeiging. Manchmal, dachte ich, hilft eine neue Umgebung beim Nachdenken. Zudem wurde mir bewußt, daß ich schon sehr lange nicht mehr Zug gefahren war. Ja, als ich mein Geld in den Fahrkartenautomaten einwarf, verspürte ich die leichte Nervosität, die man häufig empfindet, wenn man etwas Ungewohntes tut. Wann war ich noch zuletzt in der Stadt gewesen? Wohl damals, als ich vom Westeingang des Shinjuku-Bahnhofs aus dem Mann mit dem Gitarrenkasten gefolgt war - vor über sechs Monaten. Der Anblick des Gewimmels im Shinjuku-Bahnhof machte mich ganz wirr. Der Menschenstrom raubte mir den Atem und bereitete mir sogar etwas Herzklopfen - und jetzt war nicht einmal Rush-hour! Anfangs hatte ich Mühe, mir einen Weg durch das Gedränge von Körpern zu bahnen. Es war weniger eine Menschenmenge als ein reißender Strom - eine entfesselte Flut von der Art, die ganze Häuser zum Einsturz bringt und mit sich fortspült. Ich war erst ein paar Minuten gelaufen, als ich das Bedürfnis verspürte, meine Nerven zu beruhigen. Ich ging in ein Café am Boulevard und setzte mich an einen Tisch an einem der großen Fenster. Zu dieser späten Vormittagsstunde war das Café nicht besonders voll. Ich

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