Mister Aufziehvogel
unterirdische Labyrinth. Er kannte jeden seiner verschlungen miteinander kommunizierenden Gänge und konnte mit einem einzigen Tastendruck beliebig zwischen ihnen hin- und herspringen. Ein uneingeweihter Eindringling (das heißt also, jeder außer Zimt selbst) hätte laut Muskat Monate gebraucht, um sich an den Alarmvorrichtungen und Fallen vorbei durch dieses Labyrinth hindurchzuarbeiten. Nicht, daß der in der Zentrale installierte Computer für sich genommen so besonders gewesen wäre: Er hatte mehr oder weniger die gleichen Leistungsmerkmale wie der PC im Bürogebäude in Akasaka. Beide waren allerdings mit dem Großrechner vernetzt, den Mutter und Sohn bei sich zu Haus hatten. In dem hatte Zimt zweifellos die persönlichen Daten von Muskat’ Klientinnen gespeichert - und ebenso zweifellos auch seine komplizierte doppelte Buchführung -, aber ich konnte mir durchaus vorstellen, daß er in dem Computer noch einiges mehr hütete als nur die Geheimnisse, die sich im Laufe der Jahre im Zusammenhang mit seiner und Muskat’ Tätigkeit angesammelt hatten.
Was mich zu dieser Annahme verleitete, war die konzentrierte Hingabe, die Zimt gelegentlich im Umgang mit seinem Rechner an den Tag legte, wenn er in unserer Zentrale war. Normalerweise schloß er sich in seinem kleinen Büro ein, aber ab und zu ließ er die Tür einen Spalt offen, und dann konnte ich ihn - nicht ohne gewisse Schuldgefühle, als spionierte ich seine Intimsphäre aus - bei der Arbeit beobachten. Er und sein Computer schienen sich in einem fast erotischen Einklang zu bewegen. Nach einem ersten Stakkatolauf von Tastenanschlägen hielt er inne und starrte auf den Bildschirm, die Lippen, je nachdem, sichtlich unzufrieden verzogen oder zum Anflug eines Lächelns gekräuselt. Manchmal berührte er, scheinbar tief in Gedanken, eine einzelne Taste, dann noch eine, dann noch eine; und manchmal ließ er die Finger mit der ganzen Energie eines Pianisten, der eine Etüde von Liszt spielt, über die Tastatur rasen. Wenn er mit seiner Maschine wortlos Zwiesprache hielt, schien er durch den Bildschirm seines Monitors hindurch in eine andere, ihm innig vertraute Welt zu spähen. Ich wurde dann das Gefühl nicht los, daß sich die Wirklichkeit für ihn nicht so sehr in der irdischen Welt als in seinem unterirdischen Labyrinth ereignete. Vielleicht besaß Zimt in jener anderen Welt eine klare, volltönende Stimme, mit der er wortgewandt sprach und hörbar lachte und weinte.
»Könnte ich nicht statt dessen von hier aus auf Ihren Computer zugreifen?« fragte ich Ushikawa. »Dann würden Sie kein Paßwort benötigen.«
»Nein, das würde nicht funktionieren. Vielleicht würden Ihre Übertragungen hier ankommen, aber die von hier ausgehenden nicht bei Ihnen. Das Problem ist das Paßwort - das Sesam-öffne-dich. Ohne das läuft gar nichts. Die Tür bleibt für den Wolf verschlossen, wie sehr er seine Stimme auch zu verstellen versucht. Er kann klopfen und sagen: ›Hallo, ich bin’s, euer Freund Kaninchen‹, aber wenn er das Paßwort nicht kennt, kann er bis in alle Ewigkeit warten. Wir haben es hier mit einer eisernen Jungfrau zu tun.«
Ushikawa ließ an seinem Ende der Leitung ein Streichholz aufzischen und zündete sich eine Zigarette an. Ich stellte mir seine schief-und-krummen gelben Zähne und seine schlaffen Lippen vor.
»Das Paßwort besteht aus drei alphanumerischen Zeichen. Nachdem die Aufforderung erschienen ist, hat man zehn Sekunden Zeit, es einzugeben. Nach der dritten falschen Eingabe wird der Zugang endgültig verweigert und der Alarm geht los. Nicht, daß da irgendwelche Sirenen losheulen würden oder so was, aber der Wolf hinterläßt seine Fußspuren, so daß man weiß, daß er da war. Ganz schön clever, was? Bei sechsundzwanzig Buchstaben und zehn Ziffern ergeben sich praktisch unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten. Man muß das Paßwort schon wissen, anders ist nichts zu wollen.« Ich dachte eine Weile darüber nach, ohne etwas zu erwidern. »Irgendwelche brauchbaren Ideen, Herr Okada?«
Sobald Zimt am folgenden Nachmittag mit der Klientin im Fond des Mercedes abgefahren war, ging ich in sein kleines Arbeitszimmer, setzte mich an den Computer und betätigte den Netzschalter. Der Bildschirm leuchtete in einem kühlen Blau auf und zeigte lediglich die Aufforderung:
Geben Sie binnen zehn Sekunden das Paßwort ein.
Ich gab das Drei-Buchstaben-Wort ein, das ich mir zurechtgelegt hatte:
Zoo
Der Computer piepte einmal und gab eine
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