Mister Aufziehvogel
müssen, als wir dafür bezahlt haben, Sie werden also nicht viel bekommen, aber Ihr Anteil müßte einen ordentlichen Prozentsatz dessen ausmachen, was Sie an Tilgungsraten bezahlt haben. Damit müßten Sie eine Weile auskommen können. Um Geld brauchen Sie sich also keine allzu großen Sorgen zu machen. Sie haben es sich schließlich verdient: Sie haben hier hart gearbeitet.«
»Wird dieses Haus abgerissen werden?«
»Wahrscheinlich. Und den Brunnen werden sie wahrscheinlich auch wieder zuschütten. Was einem wie Vergeudung vorkommt, jetzt, wo er wieder Wasser gibt, aber kein Mensch will heutzutage so einen großen altmodischen Brunnen. Normalerweise wird einfach ein Rohr einbetoniert und eine elektrische Pumpe angeschlossen. Das ist viel bequemer, und es nimmt weniger Platz weg.«
»Ich glaube nicht, daß das Anwesen noch verhext ist«, sagte ich. »Es ist wahrscheinlich einfach wieder ein ganz normales Grundstück, nicht mehr das ›Selbstmörderhaus‹.«
»Da könnten Sie recht haben«, sagte Muskat. Sie zögerte, dann biß sie sich auf die Lippe. »Aber das betrifft uns nicht mehr - weder mich noch Sie. Nicht wahr? Wie auch immer, das einzig Wichtige ist jetzt, daß Sie sich ausruhen und sich nicht den Kopf über Dinge zerbrechen, die eigentlich ganz und gar nebensächlich sind. Es wird noch eine Weile dauern, bis Sie völlig wiederhergestellt sind.« Muskat zeigte mir, was in der Morgenzeitung, die sie mitgebracht hatte, über Noboru Wataya stand. Es war nur eine kurze Notiz. Noch immer bewußtlos, war Noboru Wataya von Nagasaki nach Tokio in eine große Universitätsklinik gebracht worden, wo er sich jetzt auf der Intensivstation befand; sein Zustand sei unverändert. Mehr stand da nicht. Natürlich mußte ich in diesem Augenblick an Kumiko denken. Wo konnte sie sein? Ich mußte wieder nach Hause. Aber ich war immer noch zu schwach, um eine so lange Strecke zu gehen. Am späten Vormittag des nächsten Tages schaffte ich es bis ins Badezimmer und sah mich zum erstenmal seit drei Tagen wieder im Spiegel. Ich sah entsetzlich aus - weniger wie ein erschöpfter Mensch als wie eine gut erhaltene Leiche. Wie Muskat gesagt hatte, war die Schnittwunde an meiner Wange mit professionellen Stichen genäht worden: weißer Faden hielt die Wundränder säuberlich zusammen. Der Schnitt war gut zweieinhalb Zentimeter lang, aber nicht sehr tief. Wenn ich versuchte, eine Grimasse zu schneiden, zog es ein bißchen, aber weh tat es eigentlich kaum. Ich putzte mir die Zähne und nahm mir dann meinen Bart vor. Mit einem Elektrorasierer: Ich traute mir noch nicht wieder zu, ein Rasiermesser sicher zu handhaben. Als ich mit der Wangenpartie fertig war, konnte ich kaum glauben, was ich im Spiegel sah. Ich legte den Rasierer hin und warf einen genaueren Blick auf mein Spiegelbild. Das Mal war verschwunden. Der Mann hatte mich in die Wange geschnitten. Genau da, wo das Mal gewesen war. Der Schnitt war klar und deutlich zu sehen, aber das Mal war nicht mehr da. Es war spurlos von meiner Wange verschwunden.
In der Nacht des fünften Tages hörte ich wieder das leise Geläut von Schlittenglöckchen. Es war kurz nach zwei. Ich stand vom Sofa auf, zog eine Wolljacke über den Pyjama und verließ den Anproberaum. Durch die Küche ging ich zu Zimts kleinem Arbeitszimmer und spähte hinein. Zimt rief mich wieder aus dem Inneren des Computers. Ich setzte mich an den Schreibtisch und las die Meldung auf dem Bildschirm.
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D IE AUFZIEHVOGEL-CHRONIK NR. 17
(KUMIKOS BRIEF)
Es gibt viel, was ich dir erzählen müßte. Alles zu erzählen würde wahrscheinlich sehr lange dauern - Jahre vielleicht. Ich hätte mich dir schon vor langer Zeit anvertrauen, dir alles ehrlich beichten sollen, aber leider hatte ich nicht den Mut dazu. Außerdem hegte ich noch die unbegründete Hoffnung, die Dinge würden sich vielleicht doch nicht ganz so schlimm entwickeln. Das Ergebnis war dieser Alptraum für uns beide. Es ist alles meine Schuld. Aber es ist auch zu spät für irgendwelche Erklärungen. Dazu fehlt uns die Zeit. Deswegen möchte ich dir hier zunächst nur das Wichtigste sagen. Und das ist: Ich muß meinen Bruder, Noboru Wataya, töten.
Ich fahre jetzt zu ihm ins Krankenhaus, um den Stecker seines Beatmungsgerätes herauszuziehen. Als seiner Angehörigen wird man mir
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