Mister Aufziehvogel
war infolge der Schneeschmelze geschwollen. Wir sahen große Fische im Wasser, gelegentlich machten wir in der Ferne Wölfe aus. Mag sein, daß es keine reinrassigen Wölfe waren, sondern daß sie etwas Wildhundblut in sich hatten, aber auf jeden Fall waren sie gefährlich. Nachts mußten wir zum Schutz der Pferde immer einen Posten aufstellen. Wir sahen auch viele Vögel, größtenteils Zugvögel auf dem Weg zurück nach Sibirien. Yamamoto und ich diskutierten über die topographische Beschaffenheit des Geländes. Wir verfolgten unsere Route auf der Karte und ergänzten diese durch so viele zusätzliche Daten, wie wir anhand unserer Beobachtungen gewinnen konnten. Abgesehen von diesen Fachgesprächen wechselte Yamamoto allerdings kaum ein Wort mit mir. Er trieb sein Pferd schweigend an, aß abseits von uns anderen und schlief wortlos ein. Ich hatte den Eindruck, daß er nicht zum ersten Mal hier war. Er besaß verblüffend genaue topographische Kenntnisse und fand sich in diesem Gelände erstaunlich gut zurecht.
Nachdem wir zwei Tage lang ohne irgendwelche besonderen Vorkommnisse in südlicher Richtung geritten waren, rief mich Yamamoto beiseite und eröffnete mir, daß wir am nächsten Morgen vor Tagesanbruch den Chalcha durchqueren würden. Diese Mitteilung versetzte mir einen ungeheuren Schock. Das jenseitige Ufer war mongolisches Territorium. Selbst das Ufer, auf dem wir uns momentan befanden, war gefährliches Grenzgebiet. Sowohl die Äußere Mongolei als auch Mandschukuo erhoben Anspruch auf dieses Territorium, und dies führte immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen. Sollten wir auf dieser Seite Truppen der Äußeren Mongolei in die Hände fallen, dann würden uns die unterschiedlichen Ansichten, die die zwei Länder bezüglich des Grenzverlaufs hatten, eine gewisse Entschuldigung für unsere Anwesenheit liefern; zudem war zu dieser Jahreszeit, wo die Schneeschmelze eine Durchquerung des Flusses so sehr erschwerte, die Gefahr, auf mongolische Soldaten zu stoßen, eher gering. Aber das jenseitige Ufer war eine ganz andere Geschichte. Da drüben mußte man auf jeden Fall mit mongolischen Patrouillen rechnen. Wenn man uns dort aufgriff, würden wir nicht die kleinste Ausrede vorbringen können. Es würde ein eindeutiger Fall von Grenzverletzung sein, der alle möglichen politischen Probleme auslösen konnte. Wir konnten auf der Stelle erschossen werden, und unsere Regierung würde nicht einmal protestieren können. Hinzu kam, daß mein Vorgesetzter durch nichts angedeutet hatte, daß es uns gestattet sein würde, die Grenze zu überqueren. Ich hatte natürlich Anweisung erhalten, Yamamotos Befehlen zu gehorchen, aber ich konnte unmöglich beurteilen, ob dies auch einen so schweren Verstoß gegen das Völkerrecht wie eine Grenzverletzung einschloß. Zweitens führte der Chalcha, wie ich schon sagte, Hochwasser, und die Strömung war viel zu reißend, als daß man eine Überquerung hätte wagen können; zudem mußte das Wasser eisig kalt sein. Nicht einmal die nomadisierenden Stämme durchquerten den Fluß gern zu dieser Jahreszeit. In der Regel taten sie dies entweder im Winter, wenn der Fluß gefroren war, oder im Sommer, wenn der Wasserstand niedrig und die Wassertemperatur höher war.
Als ich ihm all das sagte, starrte mich Yamamoto einen Augenblick lang an. Dann nickte er mehrmals. »Ich verstehe Ihre Bedenken gegen eine Verletzung internationaler Grenzen«, sagte er in leicht gönnerhaftem Ton zu mir. »Es ist vollkommen natürlich, daß Sie sich als für die Sicherheit Ihrer Männer verantwortlicher Offizier Gedanken über die möglichen Konsequenzen einer solchen Aktion machen. Sie würden niemals ohne triftigen Grund das Leben Ihrer Männer aufs Spiel setzen. Ich möchte Sie aber bitten, solche Überlegungen mir zu überlassen. Ich übernehme in diesem Fall die ganze Verantwortung. Ich bin nicht befugt, Ihnen nähere Informationen zu geben, aber diese Angelegenheit ist mit den höchsten Stellen der Armee abgesprochen worden. Was die Durchquerung des Flusses anbelangt, so stellt sie kein technisches Problem dar. Es gibt eine geheime Stelle, an der man ihn durchwaten kann. Die Armee der Äußeren Mongolei hat mehrere solche Stellen angelegt und gesichert. Ich vermute, daß Ihnen dies gleichfalls bekannt ist. Letztes Jahr bin ich um die gleiche Zeit an ebendieser Stelle in die Äußere Mongolei eingedrungen. Es besteht für Sie nicht der geringste Grund zur Sorge.«
In einem Punkt hatte er recht. Die
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