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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Aufgaben spezialisierten Abteilung. Das war für mich ideal, da meine dortigen Dienstpflichten, um die Wahrheit zu sagen, zu den einfachsten gehörten, die man sich in der Armee überhaupt nur wünschen konnte.
    Hinzu kam, daß die Lage in der Mandschurei relativ ruhig war - oder zumindest stabil. Der jüngst erfolgte Ausbruch des chinesischen Zwischenfalls hatte den Schwerpunkt der militärischen Aktivitäten von der Mandschurei in das chinesische Kernland verlagert. Die eigentliche Kriegsführung war jetzt Sache des China-Expeditionskorps, während sich die Kwantung-Armee eher einen schönen Lenz machte. Sicher, es waren noch Säuberungsaktionen gegen antijapanische Guerillaeinheiten im Gange, aber sie beschränkten sich auf das Landesinnere, und generell war das Schlimmste schon vorüber. Die mächtige Kwantung-Armee hatte nichts mehr zu tun, als in unserem neuerdings »unabhängigen« Marionettenstaat Mandschukuo für Ruhe und Ordnung zu sorgen und gleichzeitig den Norden im Auge zu behalten.
    So ruhig die Lage scheinbar auch war, herrschte schließlich noch immer Krieg, und so wurden ständig Manöver abgehalten. Auch daran brauchte ich glücklicherweise nicht teilzunehmen. Sie fanden unter entsetzlichen Bedingungen statt. Die Temperatur sank bis auf vierzig, fünfundvierzig Grad unter Null. Ein falscher Schritt konnte einen das Leben kosten. Nach jedem solchen Manöver kamen Hunderte von Männern mit Erfrierungen ins Lazarett oder wurden zur Behandlung in ein Thermalbad geschickt. Hsin-ching war keine große Stadt, aber es war zweifellos ein interessanter, exotischer Ort, und wenn man sich amüsieren wollte, fehlte es dort wahrlich nicht an Gelegenheiten. Junge alleinstehende Offiziere wie ich wohnten nicht in der Kaserne, sondern in einer Art Gästehaus. Es war für mich praktisch eine Fortsetzung des Studentenlebens. Ich nahm die Dinge, wie sie kamen, und ich dachte schon, wenn meine Militärzeit bis zum Ende so weiterging - einfach ein friedlicher Tag nach dem anderen -, würde ich wahrlich keinen Grund zur Klage haben.
    Es war natürlich nur ein Scheinfrieden. Direkt jenseits der Grenze unserer kleinen Oase wütete ein erbitterter Krieg. Den meisten Japanern dürfte klar gewesen sein, daß der Krieg gegen China sich über kurz oder lang in einen weglosen Sumpf verwandeln würde, aus dem wir uns nie wieder herausziehen konnten; zumindest muß dies jedem Japaner mit einem Gehirn im Kopf klar gewesen sein. Es spielte keine Rolle, wie viele Einzelschlachten wir gewannen: Japan konnte unmöglich fortfahren, ein so riesiges Land Stück für Stück zu erobern, und hoffen, die besetzten Gebiete kontrollieren zu können. Es war offensichtlich, wenn man nur einen Augenblick lang darüber nachdachte. Und tatsächlich begannen die Zahlen der Gefallenen und Verwundeten in die Höhe zu schießen. Die Beziehungen zu Amerika verschlechterten sich zusehends. Selbst in der Heimat wurden die Schatten des Krieges mit jedem Tag dunkler. Das waren damals finstere Jahre: 1937,1938. Und dennoch, als Offizier, der in Hsin-ching seinen ruhigen Dienst versah, hätte man fast fragen mögen: »Krieg? Was für ein Krieg denn?« Jeden Abend zogen wir zechend und lachend durch die Stadt, und wir besuchten die Cafés, in denen es weißrussische Mädchen gab.
    Eines Tages dann, gegen Ende April 1938, rief mich ein höherer Generalstabsoffizier zu sich und machte mich mit einem Burschen in Zivil namens Yamamoto bekannt. Yamamoto hatte kurzgeschorenes Haar und trug einen Schnurrbart. Er war nicht besonders groß. Was sein Alter anbelangt, schätzte ich ihn auf Mitte Dreißig. Am Nacken hatte er eine Narbe, die von einer Messer-, Schwert- oder sonstigen Schnittwunde hätte stammen können. Der Offizier sagte zu mir: »Herr Yamamoto ist Zivilist. Er hat von der Armee den Auftrag erhalten, die Sitten und Gebräuche der in Mandschukuo lebenden Mongolen zu erforschen. Er wird demnächst in die Hulunbuir-Steppe reisen, nicht weit von der Grenze zur Äußeren Mongolei, und wir werden ihm eine bewaffnete Eskorte mitgeben. Sie werden diesem Sonderkommando zugeteilt.« Ich glaubte ihm kein einziges Wort. Dieser Yamamoto mochte Zivilkleidung tragen, aber jeder hätte auf den ersten Blick erkannt, daß er Berufssoldat war. Der Ausdruck in seinen Augen, die Weise, wie er sprach, seine ganze Haltung: es war nicht zu übersehen. Ich dachte mir, daß er ein hochrangiger Offizier oder jemand vom Nachrichtendienst sein mußte und sich offenbar auf einer

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