Mister Aufziehvogel
was ihn gerade beschäftigen mochte, aber er hatte nichts Unangenehmes an sich. Wenn überhaupt, so war an seiner ganzen Art etwas, was einem das Herz erweichte. Er war vollkommen heiter. Was auch passierte, stets behielt er denselben gelassenen Gesichtsausdruck. Wie ich beiläufig erfuhr, stammte er aus Asahikawa, wo sein Vater eine kleine Druckerei betrieb. Er war zwei Jahre jünger als ich, und seit er die Mittelschule verlassen hatte, hatte er, wie seine Brüder, im väterlichen Betrieb gearbeitet. Er war der jüngste von drei Brüdern; der älteste war zwei Jahre zuvor in China gefallen. Er war ein eifriger Leser, und wann immer wir eine ruhige Minute hatten, sah man ihn irgendwo zusammengerollt liegen und in einem buddhistischen Buch lesen.
Wie ich schon sagte, hatte Honda keinerlei Gefechtserfahrung, war aber dennoch - mit nur einem Jahr Ausbildung hinter sich - ein hervorragender Soldat. In jedem Zug gibt es ein, zwei solche Männer, die ihre Pflichten geduldig und ausdauernd, ohne jemals zu murren, aufs I-Tüpfelchen erfüllen. Von kräftiger Konstitution und rascher Auffassungsgabe, begreifen sie sofort, was man ihnen sagt, und erledigen ihren Auftrag auf mustergültige Weise. Honda war ein solcher Mann. Und da er als Kavallerist ausgebildet worden war, wußte er von uns dreien am besten über Pferde Bescheid; so war er es, der sich um unsere sechs Tiere kümmerte. Und wie er es tat, war wirklich erstaunlich. Manchmal kam es uns so vor, als verstehe er jede noch so kleine Regung der Pferde, als könne er sich vollkommen in sie einfühlen. Feldwebel Hamano erkannte sofort Korporal Hondas Fähigkeiten und übergab ihm, ohne einen Augenblick zu zögern, die Verantwortung für viele Aufgabenbereiche.
So kam es, daß wir uns für eine so bunt zusammengewürfelte Einheit schon bald außergewöhnlich gut verstanden. Und gerade weil wir keine reguläre Einheit waren, hatten unsere gegenseitigen Beziehungen nichts von dieser streng kodifizierten militärischen Förmlichkeit. Wir fühlten uns miteinander so wohl, daß man fast hätte meinen können, das Karma habe uns zusammengeführt. Und darum konnte Feldwebel Hamano mir in aller Offenheit Dinge sagen, die den Rahmen dessen, was zwischen Offizier und UO üblich ist, durchaus sprengten.
»Sagen Sie, Herr Leutnant«, fragte er mich einmal, »was halten Sie eigentlich von diesem Yamamoto?«
»Geheimdienst, jede Wette«, sagte ich. »Jemand, der so gut Mongolisch kann, muß ein Profi sein. Und er kennt dieses Gebiet wie seine Westentasche.«
»Ist auch mein Eindruck. Anfangs dachte ich, er könnte einer von diesen berittenen Strauchdieben mit Beziehungen nach ganz oben sein, aber das kann nicht sein. Ich kenne diese Typen. Die quasseln einem das Ohr ab, und die Hälfte von dem, was die einem erzählen, ist erstunken und erlogen. Und die sind schnell mit dem Finger am Abzug. Aber dieser Yamamoto ist kein Leichtgewicht. Der hat Mumm. Der hat keine Beziehungen, der ist selbst ein hohes Tier - ein ganz hohes. Die kann ich eine Meile gegen den Wind riechen. Ich hab was davon läuten hören, daß die Armee versucht, aus sowjetisch ausgebildeten mongolischen Soldaten eine geheime taktische Einheit zusammenzustellen, und daß die ein paar von unseren Profis eingeschleust haben, die die Operation über die Bühne bringen sollen. Er könnte was damit zu tun haben.«
Korporal Honda stand, das Gewehr in der Hand, ein Stück von uns entfernt Wache. Ich hatte meine Browning griffbereit neben mir liegen. Feldwebel Hamano hatte seine Gamaschen ausgezogen und massierte sich die Füße. »Das sind natürlich nur Vermutungen«, fuhr Hamano fort. »Dieser Mongole, den wir gesehen haben, könnte ein sowjetfeindlicher Offizier der mongolischen Armee sein, der versucht, heimlich Kontakt zur japanischen Armee aufzunehmen.«
»Könnte sein«, sagte ich. »Aber Sie sollten besser aufpassen, was Sie sagen. Sie reden sich noch um Kopf und Kragen.«
»Ach, kommen Sie, Herr Leutnant. So dumm bin ich nicht. Das bleibt unter uns.« Über sein Gesicht ging ein breites Lächeln, dann wurde er wieder ernst. »Aber wenn das stimmt, dann ist es eine ziemlich riskante Angelegenheit. Könnte Krieg bedeuten.«
Ich nickte zustimmend. Die Äußere Mongolei war zwar offiziell ein souveränes Land, aber tatsächlich war sie eher ein Satellitenstaat der Sowjetunion. Sie unterschied sich mit anderen Worten nicht allzusehr von Mandschukuo, wo Japan die Zügel in der Hand hielt. Allerdings existierte im
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