Mister Mirakel
weil er einfach nicht wußte, wie er sich in einer ähnlichen Lage verhalten hätte.
Helen wuchs über sich selbst hinaus. Sie hob die Waffe an und schwenkte sie vom Geländer weg auf die Treppenmitte zu. Den Lauf mußte sie kippen, um auf die beiden zielen zu können.
Sie tat es auch.
Vor ihr stiegen die Masken höher. Helen starrte in die gräßlichen Gesichter, und sie hörte das Kichern der Veränderten. Sie ließen sich auch von der Waffe nicht beeindrucken. Jemand hatte ihnen einen Befehl erteilt, und den führten sie durch. Sie waren nicht mehr für sich selbst verantwortlich, hinter ihnen steckten andere Mächte, und denen gehorchten sie.
»Bleibt stehen, verdammt!«
Die beiden kümmerte es nicht.
»Ich schieße!« Helens Stimme überschlug sich.
Dave und Marc gingen weiter. Sie waren zu bösen, unberechenbaren und mordgierigen Clowns geworden, und ihr Freund Johnny hielt derweil den anderen in Schach.
»Seid ihr denn lebensmüde?« brüllte Helen, der es verdammt schwerfiel, abzudrücken.
Dave und Marc kümmerten sich nicht um sie. Sie standen bereits auf der vierten Stufe. Daß sie in eine Gewehrmündung schauten, war ihnen völlig egal.
Auch Grover litt. Das ihn bedrohende Messer interessierte ihn plötzlich nicht mehr.
Sein gesamtes Sinnen und Trachten galt einzig und allein Helen.
»O neeinnn!« brüllte sie plötzlich, und dabei erwischte es sie wie ein Reflex. Sie drückte ab.
Der Schuß brüllte in dem Augenblick auf, als Bill Conolly durch die grauen Nebelschwaden in das Haus torkelte…
***
Mister Mirakel war da, und er wurde akzeptiert. Wir konnten es uns nicht erklären, daß niemand Widerspruch einlegte. Möglicherweise hatte er sein Kommen schon Tage oder Nächte zuvor angekündigt. Jedenfalls gab es niemanden, der sich ihm in den Weg stellte. Alle glotzten ihn nur an. Wahrscheinlich waren sie fasziniert von seinem Äußeren, das durch den Widerschein des Feuers noch schauriger geworden war, denn er huschte über seine Gestalt hinweg wie tanzende Blutflecken.
Das graue und starre Gesicht wurde auf schaurige Art und Weise belebt. Trotzdem lebte es selbst nicht. Es blieb weiterhin so maskenhaft starr, als hätte er passend zum Fest eine graue Maske aufgesetzt. Seine dunkle Kleidung hatte ebenfalls den rötlichen Glanz bekommen, der in Wellen über den schimmernden Umhang hinweghuschte, der Mister Mirakel bis zum Boden reichte.
Diese Kleidung machte ihm alle Ehre. Er wirkte tatsächlich wie ein Mirakel, wie ein Rätsel, und in den Augenöffnungen leuchteten seine Augen in einem kalten Gelb. Diese Farbe schimmerte selbst durch das Rot des Feuers.
Wir hielten den Atem an. Noch standen wir in sicherer Deckung. Niemand hatte sich um uns gekümmert, und es war auch noch nichts passiert. Die Menschen hatten sich kreisförmig um ihn herum aufgestellt und schlössen auch das größte der Feuer ein. Scheite und Reisig waren so aufgebaut worden, daß sie wie ein Baum wirkten, durch den die Flammen ihren Weg fanden und dafür sorgten, daß oft genug das Holz knackte und immer wieder kleine Funkenströme in die Höhe spritzten.
Die Karre stand in seiner Nähe. Er hatte sie mit seinen speziellen Kürbissen gefüllt. Alle Zuschauer würden keinen erhalten. Es war nicht nötig. Die wenigen reichten aus, um die Träger dieser Masken zu Bestien werden zu lassen.
Mister Mirakel machte es schaurig und spannend. Er breitete seine Arme aus. Dadurch verzog sich auch sein Mantel oder Umhang, und so wirkte er wie eine auf dem Boden stehende übergroße Fledermaus mit einem aschgrauen Gesicht.
Für mich war Mister Mirakel ein verkleideter Satan, der die Kräfte der Hölle oder einer anderen bösen Dimension in sich gesammelt hatte. Die Blicke der Zuschauer, ob Männer, Frauen und Kinder, hingen gebannt an seinen Bewegungen, und seine Arme sanken dabei sehr langsam wieder nach unten.
Er hatte Schweigen verordnet, und die Menschen folgten ihm, denn sie schwiegen auch.
Neben mir bewegte sich Suko.
Er machte sich kampfbereit, als er seine Dämonenpeitsche hervorholte, den Kreis schlug, damit die drei Riemen hervorgleiten konnten, und er die Peitsche dann wieder mit dem Griff zuerst in den Hosengürtel steckte.
»Wir sollten es nicht soweit kommen lassen, daß er seinen ersten Kürbis abgibt.«
»Stimmt. Nur würde ich gern warten, Suko. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er nichts sagt. Er ist ein Typ, der seine Macht genießt und diese auch anderen mitteilen will.«
»Okay, dann wollen wir mal
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