Mister Mirakel
jeder mein Kunstwerk betrachten können?«
Keiner der Anwesenden traute sich, eine Antwort zu geben. Die Menschen standen noch zu sehr unter dem Bann des Erlebten. Mister Mirakel schien damit gerechnet zu haben, denn er nickte, als wäre er mit dieser Nichtreaktion völlig zufrieden.
»Gut, ihr habt ihn gesehen. Davon gehe ich aus. Aber ich gehe noch einen Schritt weiter. Die nächste Frage werde ich euch stellen, und dann möchte ich eine Antwort bekommen. Wem von euch soll ich dieses Kunstwerk geben oder selbst über den Kopf stülpen?«
Er wartete auf eine Antwort und ließ den Zuschauern genügend Zeit. Niemand meldete sich. Obwohl sie alle gekommen waren, um dieses Fest zu feiern, traute sich niemand, näher mit Mister Mirakel in Kontakt zu treten.
Das gefiel ihm nicht, denn er höhnte mit lauter Stimme: »Keiner? Wirklich keiner von euch?«
»Doch!« rief ich. »Dreh dich um, Mister Mirakel, denn ich werde ihn nehmen…«
***
Damit hatte er wohl nicht gerechnet, und ich erlebte, daß auch jemand wie er überrascht sein konnte. Für einen Moment blieb er noch unbeweglich stehen, dann zuckte es bis hoch zu seinen Schultern, und er drehte sich langsam um.
Er starrte mich an.
Ich starrte zurück.
In meinem Gesicht bewegte sich ebensowenig etwas wie in seinen Zügen. Nur stellte ich mir schon die Frage, ob er etwas gemerkt hatte! Ob er wußte, wer da vor ihm stand. Einer, der diesen verdammten Kürbis nicht zum erstenmal auf seinem Kopf trug, und ich streckte ihm die Arme entgegen.
»Hast du nicht gehört? Ich werde ihn aufsetzen!«
Mister Mirakel hatte sich wieder gefangen. »Wer bist du?« fragte er mit rauh klingender Stimme.
»Ich will Halloween feiern…«
»Ja, das glaube ich. Aber du bist anders. Ich kann es spüren.«
»Nur, weil ich deinen Kürbis gern aufsetzen mochte?«
»Nein, deshalb nicht.«
»Was stört dich dann?«
»Ich kann es nicht sagen«, gab er zu. »Aber du bist nicht so wie die anderen. Mit dir ist etwas passiert. Du bist verändert. Ich habe den Eindruck, dich zu kennen. Auf irgendeiner Ebene haben wir uns schon getroffen. Wie heißt du?«
»John…«
»Und weiter?«
»Nur John. Und jetzt gib mir den Kürbis. Ich mochte nicht noch länger warten.«
Ich hatte zu ihm sehr fordernd gesprochen und war auch einen Schritt auf ihn zugegangen, um zu beweisen, daß es mir mit meinem Vorhaben sehr ernst war.
Die Bewohner von Tyneham rührten sich nicht. Sie standen da wie die Ölgötzen. Auch schienen sie froh zu sein, daß es jemanden gab, der einem von ihnen die Entscheidung abgenommen hatte.
»Gilt dein Wort nicht mehr, Mister Mirakel?«
»Doch, doch, John, es gilt.«
»Dann zögere nicht länger.«
Er mußte etwas tun, um sich vor seinen Zuschauern nicht zu blamieren. Ein knappes Nicken deutete an, daß er einverstanden war, und er ging auf mich zu, während ich ihm entgegenschritt.
In der Mitte trafen wir uns. Das große Feuer wehte seinen Hitzeschleier gegen mich, aber es war gut zu ertragen, denn von der anderen Seite spürte ich die kühle Nebelnässe. Sie hatte sich auch auf den blankpolierten Kürbis gelegt, der auf der Oberfläche glänzte wie eine gut gepflegte Bowlingkugel.
»Danke!« sagte ich, als ich mit beiden Händen das Meisterwerk umfaßte.
Mister Mirakel lachte. Er war irritiert und schien es nicht gewohnt zu sein, daß sich jemand bedankte. Schnell ging er wieder an seinen Platz zurück, als hätte er Angst vor mir.
Ich hielt den Kürbis noch immer fest und schaute auf sein Gesicht. Es war wirklich eine widerliche Fratze. Hölzern und leblos, trotzdem von einem unheimlichen Leben gefüllt, das noch im Verborgenen blühte.
Alle Blicke waren auf mich gerichtet, als ich dieses ›Geschenk‹ anhob und für einige Sekunden über meinem Kopf zur Ruhe brachte, da ich Mister Mirakel das Bild noch einmal gönnen wollte. Dieser Kürbis fühlte sich auch nicht anders an als diejenigen, die ich bereits kannte - und ich würde das gleiche erleben wie zuvor.
Diesmal war ich am besten darauf vorbereitet. Wenn alle Stricke rissen, gab es auch noch Suko, der mich bisher nie im Stich gelassen hatte.
Ich stülpte den Kürbis über. Nicht schnell, ich ließ mir Zeit und beobachtete Mister Mirakel. Er sah aus wie jemand, der auf dem Sprung stand. Der flache Mund in seinem bewegungslosen Gesicht war verzogen. Beide Augen glühten wie das Licht der gelben Totenlaternen.
Ich schaffte es.
Der Kürbis war breit genug, um sich meinem Kopf anpassen zu können. Ich ließ
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