Mistreß Branican
näherte sich das Schiff graciös seinem Posten.
Bald war der Schraudendampfer an der Landungsbrücke. Dann stieß er noch einige Pfiffe aus, um die verspäteten Touristen zu schnellen Schritten anzutreiben.
Der Schraubendampfer hatte nur fünf Minuten Aufenthalt. Mrs. Branican, Jane Burker und die Amme setzten sich auf eine Bank des Verdecks, während die übrigen Reisenden – etwa zwanzig – auf der Brücke hin und hergingen. Ein letzter Pfiff ertönte, die Schraube setzte sich in Bewegung und das Schiff entfernte sich von der Küste.
Es war erst halb zwölf und Mrs. Branican wäre daher noch zur rechten Zeit in das Haus der Fleet Street gekommen, da die Ueberfahrt nur eine Viertelstunde dauerte. In dem Maße, als das Schiff sich der Küste näherte, hingen die Blicke der Mrs. Branican an dem »Boundary«. Der Anker war, oben, die Segel waren geschwellt, und das Schiff begann langsam dahinzugleiten. Wenn es vor der Werfte in San-Diego liegen würde, so konnte es Dolly besuchen, so oft sie wollte.
Der Schraubendampfer fuhr schnell dahin. Die Häuser der Stadt wuchsen wie ein Amphitheater empor, und das Schiff war keine Viertelmeile mehr von dem Ufer entfernt.
»Achtung!« rief in diesem Augenblicke ein Matrose, der vorn bei der Spitze stand.
Als Mrs. Branican diesen Ruf hörte, blickte sie nach dem Hafen hinüber, wo eben ein aufregendes Schauspiel die Aufmerksamkeit aller Passagiere auf sich zog, die sich auch Alle zu dem Vordertheile des Schiffes hindrängten. Ein großer Ziegelchooner war eben den zahlreichen Schiffen an dem Quai entlang gefahren und schickte sich an, mit dem Bug gegen die Islandspitze, den Golf zu verlassen. Er war von einem Remorqueur ins Schlepptau genommen, der ihn nun hinausbringen sollte.
Dieser Schooner lag gerade in der Fahrtlinie des Schraubendampfers, und zwar so nahe, daß es schwer war, ihm auszuweichen.
Ein ängstliches Gefühl ergriff die Passagiere, eine Unruhe, die um so gerechtfertigter war, als der Hafen voll von zerstreut liegenden Schiffen war. Eine innere Stimme drängte sie Alle nach dem Hinterdecke zurück. Man mußte »stoppen« und so den Schlepper mit dem Schooner vorüber lassen. Einige Fischerboote, die von dem Winde hin-und hergeworfen wurden, machten den Durchgang noch schwieriger, da sie vor dem Quai von San-Diego kreuzten.
»Achtung! rief von neuem der Matrose.
– Ja… ja… erwiderte der Steuermann. Da ist keine Gefahr!… Ich habe Platz genug!«
Da aber dahinter plötzlich ein großer Dampfer kam, so machte der Remorqueur eine Wendung, auf die man nicht gefaßt sein konnte. Man schrie, und dazu kamen noch die Rufe der Bemannung des Schooners, welche die Drehung des Remorqueurs durch ihr eigenes Steuer unterstützen wollten.
Kaum zwanzig Fuß waren die beiden Schiffe von einander entfernt.
Jane hatte sich voll Angst umgewendet. Mrs. Branican nahm, von einer plötzlichen Furcht erfaßt, den kleinen Wat aus den Armen der Amme und drückte ihn an sich.
»Nach Steuerbord!… Nach Steuerbord!« rief der Capitän, indem er mit der Hand die Richtung angab, die man einzuschlagen hätte.
Dieser Mensch, der seine Kaltblütigkeit nicht verlor, riß das Steuer kräftig herum, um sich aus dem Curse des Remorqueurs zu bringen, denn dieser konnte unmöglich stoppen, und der Schooner drohte ihn in die Flanke zu schlagen.
Durch das plötzliche Herumreißen des Steuerruders verloren die Reisenden das Gleichgewicht und fielen auf die Seite.
Nun ertönten neue Schreie des Entsetzens, weil man glaubte, daß soeben die beiden Schiffe zusammengestoßen seien.
In diesem Augenblicke konnte sich Mrs. Branican nirgends anhalten und wurde mit dem Kinde in das Meer geschleudert.
Der Schooner glitt vorüber und jede Gefahr eines Zusammenstoßes war beseitigt.
»Dolly!… Dolly!…« rief Jane, welche einer der Passagiere schnell bei der Hand erfaßte, als sie zu fallen drohte.
Plötzlich sprang ein Matrose, ohne lange zu zögern, über die Brüstung in das Meer, um Mrs. Branican und das Kind zu retten.
Dolly, welche die Kleider oben hielten, schwamm auf der Oberfläche; sie hielt das Kind in den Armen; aber sie war schon dem Untersinken nahe, als der Matrose auf sie zugeschwommen kam.
Sofort hatte der Schraubendampfer gestoppt und es war dem Matrosen nichts Schweres, ihn mit Mrs. Branican wieder zu erreichen. Unglücklicherweise hatten sich in dem Augenblicke, wo sie von dem Matrosen um die Taille genommen wurde, die Arme der Frau geöffnet, und während sie dem
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