Mistreß Branican
schien nichts zu hören; sie gehörte nicht mehr dieser Welt an.
So war der Zustand der Mrs. Branican in dem ersten Monate nach diesem Unglücke. Man hatte die Frage aufgeworfen, ob es besser wäre, sie in eine Heilanstalt zu geben oder ihr eine besondere Pflege zutheil werden zu lassen. Das war die Meinung Mr. William Andrew’s, und man hätte sie auch befolgt, wenn nicht Len Burker einen anderen Vorschlag gemacht hätte.
Len Burker besuchte Mr. William Andrew in seinem Bureau und sagte zu ihm:
»Wir sind jetzt fest überzeugt, daß der geistige Zustand Dollys keinen gefährlichen Charakter hat, der uns zwingen würde, sie einzusperren; weil sie keine anderen Verwandten hat wie uns, so bieten wir uns an, sie zu pflegen. Dolly hat meine Frau ungemein gern; wer weiß, ob die Pflege von ihr nicht besser auf sie einwirken wird als die Fremder? Wenn später eine Krisis eintreten sollte, so ist es ja immer noch Zeit, weitere Maßregeln zu treffen. Was meinen Sie dazu, Herr Andrew?«
Dieser antwortete nicht ohne ein gewisses Zögern, denn er hatte eine geheime Antipathie gegen Len Burker, obgleich er damals noch nichts von seiner Lage wußte und auch seine Ehrlichkeit nicht bezweifelte. Nach Allem war die Freundschaft, welche die beiden Frauen verband, eine tiefe, und da Mrs. Burker ihre einzige Verwandte war, so würde es schon besser sein, sie bliebe in häuslicher Pflege. Das Wichtigste war, daß die unglückliche Frau beständig und liebreich gepflegt werde, wie dies ihr Zustand erheische.
»Da Sie sich dieser Aufgabe unterziehen wollen, erwiderte Mr. William Andrew, so sehe ich nichts Ungehöriges darin, Herr Burker, daß Dolly ihrer Cousine übergeben werde, deren Ergebenheit außer allem Zweifel steht.
– Ja, für immer soll sie gepflegt werden!« fügte Len Burker hinzu.
Aber er sagte dies in seinem gewohnten kühlen, frostigen Tone.
»Ihre Absicht ist aller Ehren werth, sagte William Andrew. Nur noch eine Bemerkung: Ich frage mich, ob in Ihrem Hause in der Fleet Street, inmitten des Lärmens auf der Gasse, die arme Dolly gut aufgehoben sei, da sie dies doch gar nicht gewohnt ist. Sie braucht Ruhe, frische Luft….
– Unsere Absicht ist es auch, erwiderte Len Burker, sie nach Prospect-House zu bringen und dort mit ihr zu wohnen. Dieses Haus ist ihr Heim, und der Anblick der ihr bekannten suchen wird von heilsamem Einfluß auf sie sein. Dort wird sie nicht gestört werden… Das Freie ist gleich vor der Thüre…
Dolly!… Dolly!… rief Jane. (S. 45.)
Jane wird sie einige Spaziergänge in der Umgebung machen lassen, die sie kennt, die sie mit ihrem Kinde gemacht hat… Das schlage ich vor… Würde dies John nicht billigen, wenn er da wäre?… Und was müßte er sich bei seiner Rückkehr denken, wenn er seine Frau in einer Heilanstalt, in den Händen bezahlter Leute fände?… Herr Andrew, man darf nichts außeracht lassen, um einen heilsamen Einfluß auf ihren Geist auszuüben.«
Dieser Antwort lagen scheinbar ganz hübsche Gefühle zu Grunde. Aber warum schienen die Worte dieses Mannes kein Vertrauen einzuflößen?
Wie dem auch sein mochte, sein Vorschlag mußte angenommen werden, und Mr. William Andrew konnte ihm nur danken, indem er hinzufügte, daß John ihm auch zu tiefem Danke verpflichtet sei.
Am 27. April wurde Mrs. Branican in das Prospect-House gebracht, wo Jane und Len Burker an dem Abend desselben Tages sich auch einlogirten. Dieser Entschluß fand allgemeine Billigung.
Man erräth, welchen Motiven Len Burker gehorchte. Eben an dem Tage der Katastrophe hatte er, wie wir wissen, die Absicht gehabt, mit Dolly über eine gewisse Angelegenheit zu sprechen. Diese bestand darin, sich von ihr eine ansehnliche Summe Geldes zu borgen. Aber seitdem hatte sich die Lage geändert. Es war wahrscheinlich, daß Len Burker mit der Verwaltung des Vermögens seiner Verwandten, vielleicht als Curator, betraut werde, und in dieser Eigenschaft konnte er sich einige Hilfsquellen – wenn auch versiegbare – verschaffen, wodurch er wenigstens von neuem Zeit gewann. Das sah auch Jane voraus, und wenn sie glücklich war, sich ganz der Pflege Dollys widmen zu können, so zitterte sie doch, weil sie die geheimen Pläne ihres Mannes durchschaute, die dieser unter dem Mantel der Humanität verbarg.
Der Aufenthalt im Prospect-House wurde nun folgendermaßen eingerichtet: Man brachte Dolly in jenes Zimmer, das sie verlassen hatte, um so namenlosem Unglück entgegenzugehen. Es war nicht mehr die Mutter,
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