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Mistreß Branican

Mistreß Branican

Titel: Mistreß Branican Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Ertrinken nahe war, verschwand das Kind. Als Dolly an Bord getragen und dort auf eine Matratze gelegt wurde, war sie ganz bewußtlos.
    Von neuem sprang dieser muthige Matrose – es war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, namens Zach Fren – in das Meer, tauchte mehrmals unter, suchte herum… vergebens!… Er konnte das Kind nicht wiederfinden, das durch einen Wirbel in die Tiefe gezogen worden war.
    Unterdessen ließen die Passagiere Mrs. Branican alle Pflege angedeihen, die ihr Zustand erheischte. Jane, die ganz bestürzt war, und die Amme, die den Kopf verloren hatte, suchten sie zu sich zu bringen. Der Schraubendampfer stand noch immer und wartete, bis Zach Fren jede Hoffnung, den kleinen Wat wiederzufinden, aufgeben würde.
    Endlich kam Dolly wieder zum Bewußtsein. Sie stöhnte den Namen Wats, ihre Augen öffneten sich und ihr erster Schrei war:
    »Mein Kind!«
    Sie sah Zach Fren über die Brüstung heraufklettern… Wat war nicht in seinen Armen.
    »Mein Kind!« rief noch einmal Dolly.
    Dann sprang sie auf, stieß die Umstehenden zur Seite und eilte zur Brüstung…
    Wenn man sie nicht aufgehalten haben würde, so hätte sie sich in das Meer gestürzt… Man mußte die unglückliche Frau halten, während der Dampfer seine Fahrt fortsetzte.
    Mrs. Branican war mit verzerrten Zügen und ringenden Händen auf dem Verdecke hingesunken.
    Nach einigen Augenblicken hatte das Schiff die Landungsbrücke erreicht und Dolly wurde in das Haus Janes getragen. Len Burker war eben heimgekehrt. Auf seinen Befehl lief die Mulattin nach einem Arzt.
    Dieser war bald da, und es gelang ihm nur mit Mühe, Mrs. Branican wieder in das Leben zurückzubringen.
    Dolly sah ihn mit starrem Blicke an:
    »Was giebt es?… Was ist vorgefallen?… Ach!… Ich weiß!…«
    Dann sagte sie lächelnd:
    »Es ist mein John… Er kommt zurück!… Er kommt zurück!… Er wird seine Frau und sein Kind wiederfinden… John!… Da kommt John!«… Mrs Branican hatte den Verstand verloren.
Fünftes Capitel.
Drei Monate verfließen.
    Wie kann man den Eindruck beschreiben, den diese Katastrophe auf ganz San-Diego gemacht hatte?… Der Tod des Kindes… der Wahnsinn der Mutter! Man weiß, welche Sympathie die Bevölkerung für die Familie Branican hegte, welches Interesse der junge Capitän des »Franklin« Allen einflößte. Er war kaum vierzehn Tage fort… und war nicht mehr Vater… Bei der Rückkehr würde er in seinem Hause weder das lustige Lachen des kleinen Wat, noch die Zärtlichkeit Dollys wiederfinden, die ihn nicht mehr erkennen würde… An dem Tage, wo er einst in den Hafen einfuhr, da würde er mit keinem Hurrah begrüßt werden!
    Aber man brauchte nicht erst auf die Heimkehr John Branican’s zu warten, daß er diese furchtbare Katastrophe erfahre, denn Mr. William Andrew konnte nicht umhin, den jungen Capitän von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen. Es mußte sofort eine Depesche an einen der Correspondenten in Singapore abgehen, und auf diese Weise würde John die schreckliche Wahrheit vor seiner Ankunft in Indien vernehmen.
    Doch wollte Mr. William Andrew nicht sofort die Depesche absenden. Vielleicht ist Dolly heilbar! Wußte man, ob die Pflege, die man ihr angedeihen ließ, sie nicht wieder in den Besitz ihrer geistigen Kräfte bringen konnte?… Warum John einen doppelten Schlag versetzen, der Tod des Kindes und der Wahnsinn seiner Frau, wenn letztere in einer bestimmten Zeit zu heilen ist?
    Nachdem er sich darüber mit Len und Jane Burker ins Einvernehmen gesetzt hatte, wartete er den definitiven Ausspruch der Aerzte über den geistigen Zustand Dollys ab.
    Unterdessen war die ganze Stadt in tiefer Bestürzung. Menschenmassen zogen zu dem Hause in der Fleet Street hin, um etwas über Mrs. Branican zu hören. In dieser Zeit wurden auch sorgfältige Nachforschungen angestellt, um die Leiche des Kindes zu finden. Vergebens! Wahrscheinlich war dieser Leichnam von der Ebbe in die offene See getrieben worden. Der arme Kleine hatte nicht einmal ein Grab, auf dem seine Mutter hätte beten können, wenn sie gesund sein würde.
    Zuerst konnten die Aerzte constatiren, daß der geistige Zustand Dollys nur in einer leichten Melancholie bestehe. Keine nervöse Krise, keine jener Tobsuchtsanfälle, zwingen zu der vollständigen Isolirung der Kranken. Dolly war nur ein Körper ohne Seele, ein Geist, in dem keine Erinnerung an dieses furchtbare Unglück haftete. Ihre Augen waren trocken, ihr Blick erloschen; sie schien nichts zu sehen, sie

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